Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade
wenn sie ihr eigenes Kind auf dem Arm trägt!«
Ein Anflug von Melancholie huschte über ihr Gesicht. John entging das nicht, und so setzte er hinzu:
»Verzeihung, ich habe wohl etwas Falsches gesagt!«
»Ach, das ist es nicht. Nur werde ich weder heiraten noch Kinder bekommen, weil ich für meine Mutter sorgen muß, und zwar bis an ihr Lebensende.«
»Ich verstehe wohl nicht recht! Was reden Sie denn da für einen Unsinn?«
»Das ist kein Unsinn! Und nun entschuldigen Sie mich bitte, ich muß mich um die Gäste kümmern.«
Tita zog sich hastig zurück und ließ John völlig verwirrt stehen. Sie fühlte sich nicht besser als er, doch erlangte sie gottlob schnell ihre Fassung wieder, als sie den kleinen Roberto in ihren Armen spürte. Was bedeutete ihr schon ihr Schicksal, solange sie dieses Kind hatte, es ihr gehörte und niemandem sonst. Tatsächlich spielte sie die Mutterrolle, freilich ohne offizielle Bestätigung. Pedro und Roberto waren Teil ihres Lebens, und das genügte ihr.
Tita strahlte vor Glück, so nahm sie nicht einmal wahr, daß ihre Mutter - ebenso wie John, wenn auch aus anderen Gründen - sie nicht einen Moment aus den Augen ließ. Mama Elena war nämlich felsenfest davon überzeugt, daß sich zwischen Tita und Pedro etwas anbahnte. Ganz von der Sorge erfüllt dahinterzukommen, vergaß sie sogar zu essen, ja sie versteifte sich so sehr darauf, ihnen nachzuspionieren, daß ihr darüber der überwältigende Erfolg des Festes völlig entging. Alle waren sich einig, daß ein Großteil des Verdienstes Tita zukam. Der Puter, den sie aufgetischt hatte, war eine Delikatesse! Sie wurde nur so überhäuft mit Glückwünschen für ihre Kochkünste. Natürlich waren alle darauf erpicht, ihr das Geheimnis des Rezeptes zu entlocken. Aber gerade in dem Moment, als Tita sich anschickte, ihr Geheimnis zu lüften, daß nämlich die Zubereitung mit viel Liebe erfolgen müsse, stand Pedro in ihrer Nähe. Für den Bruchteil einer Sekunde zwinkerten sie sich komplizenhaft zu bei der Erinnerung an den Moment, als Tita die Mandeln auf dem Metate gemahlen hatte. Leider entging Mama Elenas Adleraugen selbst aus zwanzig Metern Entfernung dieses Aufblitzen nicht und versetzte sie in höchste Alarmbereitschaft.
Unter den Anwesenden war sie im Grunde genommen die einzig Störende, denn aus schier unerfindlichen Gründen hatte der Verzehr des Truthahns in Mole alle Gäste in einen Zustand seltsamer Euphorie versetzt, ja eine solche Ausgelassenheit bewirkt, daß es wohl nicht mit rechten Dingen zugehen konnte. Sie lachten und lärmten wie lange vorher und nachher nicht mehr. Die Revolutionswirren drohten zwar allerorts mit Hunger und Tod. Doch in jenem Moment schienen alle völlig vergessen zu wollen, daß es im Dorf zahllose Gefechte gab.
Die einzige, die nicht die Haltung verlor, war Mama Elena, so sehr war sie davon besessen, sie müsse verhindern, daß sich ihre schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten. Schließlich nutzte sie die Gelegenheit, als Tita, die sich kurz in ihrer Nähe aufhielt, jedes ihrer Worte hören mußte, und ließ laut und deutlich gegenüber Pater Ignacio verlauten:
»So wie die Dinge momentan stehen, Pater, mache ich mir größte Sorgen, meine Tochter Rosaura könnte eines Tages einen Arzt benötigen und uns wäre es unmöglich, einen zu erreichen, wie am Tag der Niederkunft. Ich glaube fast, es wäre das beste, sie mitsamt ihrem Gatten und ihrem Sohn nach Texas zu meinem Vetter zu schicken, sobald sie wieder etwas zu Kräften gekommen ist. Dort wäre sie ärztlich sicher besser versorgt.«
»Da teile ich ganz und gar nicht Ihre Meinung, Dona Elena, gerade wegen der augenblicklich herrschenden politischen Lage benötigen Sie einen Mann im Haus, der Sie beschützt.«
»Den habe ich noch nie gebraucht, bisher bin ich immer allein zurechtgekommen, sowohl mit meiner Farm als auch mit meinen Töchtern. Die Männer sind weiß Gott nicht das Wichtigste im Leben«, versetzte sie. »Doch auch die Revolution ist nicht so gefährlich, wie sie gerne geschildert wird; weitaus schlimmer ist es, scharfen Chili zu essen, ohne Wasser zur Hand zu haben!«
»Da muß ich Ihnen wiederum recht geben«, erwiderte er lachend. »Ach die gute Dona Elena! Immer zu einem Scherz aufgelegt. Sagen Sie übrigens: Haben Sie auch schon bedacht, wo Pedro in San Antonio arbeiten könnte?«
»Er dürfte wohl ohne Schwierigkeiten als Angestellter in der Firma meines Vetters unterkommen, er spricht ja fast fehlerfrei
Weitere Kostenlose Bücher