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Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade

Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade

Titel: Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Esquivel
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jungen Frau erblüht war, ohne daß er es bisher bemerkt hätte.
    Seit dem Tod seiner Frau vor fünf Jahren hatte er sich nie mehr derart heftig von einem weiblichen Wesen angezogen gefühlt. Der Schmerz über den Verlust seiner Frau so kurz nach der Eheschließung hatte ihn alle diese Jahre hindurch für die Liebe unempfänglich gemacht. Welch ungeahntes Gefühl befiel ihn nun freilich, als er auf Tita blickte. Ihm kam es plötzlich so vor, als liefe ihm eine ganze Horde Ameisen über den Körper und erweckte seine abgestorbenen Sinne zu neuem Leben. Eingehend betrachtete er Tita, als sähe er sie zum ersten Mal. Wie anziehend erschienen ihm auf einmal ihre Zähne, die inzwischen genau die richtige Größe im Vergleich zu den vollkommenen Proportionen ihrer zarten Gesichtszüge erlangt hatten.
    Da riß ihn Mama Elenas Stimme jäh aus seinen Gedanken.
    »Doktor, könnten Sie es vielleicht ohne große Umstände einrichten, zweimal täglich vorbeizuschauen, bis meine Tochter außer Gefahr ist?«
    »Aber liebend gern! Es ist ja nicht nur meine Pflicht, sondern ich freue mich immer, Ihr gastfreundliches Haus aufzusuchen.«
    Nur ein Glück, daß Mama Elena zu sehr mit Rosauras Gesundheit beschäftigt war, um den bewundernden Glanz in Johns Augen zu registrieren, während er Tita anschaute, denn wäre sie wachsamer gewesen, hätte sie ihm nicht so vertrauensselig die Tür ihres Heims geöffnet.
    Doch im Augenblick war der Doktor noch Mama Elenas geringste Sorge; am meisten bekümmerte sie, daß Rosaura keine Milch hatte.
    Im Dorf trieben sie glücklicherweise eine Amme auf, die sich bereit erklärte, das Kind zu stillen. Es handelte sich dabei um eine von Nachas Verwandten, die soeben ihr achtes Kind zur Welt gebracht hatte und freudig die ehrenvolle Aufgabe übernahm, Mama Elenas Enkel zu versorgen. Einen Monat lang tat sie dies vorbildlich, bis sie eines Morgens auf dem Weg zu ihrer Familie im Dorf während eines Gefechts zwischen Rebellen und Federales von einer verirrten Kugel niedergestreckt wurde. Gerade als Tita und Chencha in einem riesigen Tontopf die Zutaten für den Mole verrührten, betrat einer ihrer Verwandten die Farm mit der traurigen Nachricht.
    Nachdem schon alle Zutaten in der oben angegebenen Weise zermahlen sind, ist dies der letzte Schritt. In einem Tontopf wird alles verrührt, dann gibt man die Puterteile, die Schokoladentaler und Zucker nach Geschmack hinzu. Sobald die Flüssigkeit eindickt, nimmt man den Topf vom Feuer.
    Tita mußte schließlich die Sauce allein beenden, da Chencha, sobald sie die Nachricht erhalten hatte, ins Dorf geeilt war, um eine neue Amme für den Kleinen aufzutreiben. Erst am späten Abend kehrte sie unverrichteter Dinge wieder heim. Robertito schrie wie am Spieß. In ihrer Verzweiflung versuchten sie, ihm Kuhmilch zu geben, doch er spuckte sie sofort wieder aus. Da kam Tita die Idee, ihm Tee einzuflößen, so wie Nacha es mit ihr getan hatte, doch vergebens: Der Kleine wehrte sich vehement. Schließlich fiel ihr ein, sich den Kittel anzuziehen, den Lupita, die Amme, versehentlich zurückgelassen hatte; sie hoffte, das arme Geschöpf würde sich beruhigen, wenn es den vertrauten Geruch wahrnähme, doch im Gegenteil, es schrie noch herzzerreißender, versprach doch dieser Geruch, daß sein Hunger nun endlich gestillt würde. Natürlich verstand das hilflose Wurm nicht, warum noch immer nichts geschah. Verzweifelt suchte es zwischen Titas Brüsten nach Milch. Wenn es aber etwas im Leben gab, was Tita beileibe nicht ertragen konnte, so war es, daß ein hungriges Wesen sie um Nahrung anbettelte und sie dieser Bitte nicht nachkommen konnte. Es tat ihr in der Seele weh. Außerstande, diese Hilflosigkeit weiter mitanzusehen, öffnete sie da unwillkürlich ihre Bluse und hielt der elenden Kreatur ihre Brust hin. Obwohl sie natürlich wußte, daß diese völlig trocken war, wollte sie damit ihrem kleinen Liebling doch wenigstens etwas zum Saugen bieten und ihn so lange ablenken, bis irgendeine Lösung gefunden wäre.
    Gierig erhaschte Robertito eine Brustwarze und begann sogleich, derart verzweifelt daran zu nuckeln und zu saugen, daß schließlich wahrhaftig Milch aus Titas Brüsten trat. Als sie bemerkte, daß sich die Züge des Kleinen nach und nach besänftigten, und sie ihn zufrieden schlucken hörte, kam ihr der Verdacht, daß etwas Seltsames geschah. Sollte es tatsächlich möglich sein, daß sie den Säugling stillte? Aus Neugier nahm sie das Kind einen Moment lang von der

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