Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade
gehört, Sie haben drei Töchter, wo sind sie?«
»Die älteste und die jüngste leben in den Staaten, die mittlere ist gestorben.«
Diese Nachricht schien den Hauptmann schwer zu treffen. Mit kaum vernehmbarer Stimme erwiderte er: »Das ist wirklich traurig, ausgesprochen traurig.« Sodann verabschiedete er sich von Mama Elena mit einer höflichen Verbeugung. Ruhig und gesittet zogen sie ab, genauso, wie sie gekommen waren, und Mama Elena war völlig verwirrt darüber, wie man sie behandelt hatte; das entsprach ganz und gar nicht den Umgangsformen, die sie von blutrünstigen Mörderbanden erwartet hatte. Von Stund an beschloß sie, sich mit ihrer Meinung über die Revolutionäre etwas zurückzuhalten. Freilich konnte sie nicht wissen, daß dieser Hauptmann eben jener Juan Alejandrez war, der Monate zuvor ihre Tochter Gertrudis entführt hatte.
Dem Hauptmann erging es nicht besser, denn ihm blieb seinerseits verborgen, daß es Mama Elena gelungen war, im hinteren Teil des Hauses eine große Schar von Hühnern sicher unter einem Berg von Asche zu verscharren. Zwanzig hatten sie noch rechtzeitig vor der Ankunft der Plünderer schlachten können. Die Hühner werden mit Weizen oder Haferkörnern gefüllt und dann mitsamt ihrem Federkleid in einen lasierten Tontopf gelegt. Diesen deckt man sorgfältig mit einem Leintuch ab, wodurch das Fleisch gut und gerne eine Woche frisch bleibt.
Es wurde seit Menschengedenken auf der Farm so gehalten, wenn das Wildbret nach der Jagd gelagert werden mußte.
Als Tita schließlich aus ihrem Versteck wieder auftauchte, vermißte sie sofort das unablässige Gurren der Tauben, das ihren Alltag seit der Geburt begleitet hatte. Diese plötzliche Stille ließ sie schlagartig die ganze Last der Einsamkeit spüren. Es war der Moment, in dem sie die Leere nach Pedros, Rosauras und Robertos Fortgang am schmerzlichsten empfand.
Hastig erklomm sie die Sprossen der langen Leiter, die zum Taubenschlag führte, doch das einzige, was sie noch vorfand, war der Federteppich und der unvermeidliche Taubendreck.
Der Wind pfiff durch die offene Tür und wirbelte einige Federn in die Luft, die dann auf einen Teppich des Schweigens niederschwebten. Plötzlich vernahm sie ein leises Rascheln und entdeckte ein winziges, frisch geschlüpftes Küken, das dem Massaker entkommen war. Tita hob es auf und sah noch ein letztes Mal der von den Pferden beim Abmarsch hochgewirbelten Staubwolke nach, bevor sie sich an den Abstieg begab. Verwundert fragte sie sich, warum man ihrer Mutter eigentlich kein Leid zugefügt hatte. Unten in ihrem Versteck hatte sie inbrünstige Stoßgebete zum Himmel geschickt, Mama Elena möge nichts Böses geschehen, doch insgeheim hatte sie gehofft, ihre Mutter würde bei dieser Konfrontation den Tod finden.
Nun, als sie das Küken zwischen ihre Brüste steckte, um sich mit beiden Händen an der halsbrecherischen Leiter festzuhalten, reute es sie, diese Hoffnung gehegt zu haben. Dann begann sie den Abstieg. Von dem Tag an galt ihre größte Sorge der Aufzucht des abgemagerten Kükens. So hatte das Leben wenigstens einen gewissen Sinn. Zwar war es nicht annähernd vergleichbar mit dem Glück, das die Betreuung eines kleinen Menschenkindes bedeutete, doch immerhin besser als nichts.
Ihre Brüste waren durch den Schmerz über die Trennung von ihrem Neffen von einem auf den anderen Tag versiegt. Während sie nun die Würmer aufsammelte, plagte sie die Ungewißheit, von wem und wie der kleine Roberto jetzt wohl gefüttert würde. Dieser Gedanke ging ihr Tag und Nacht nicht mehr aus dem Kopf. Den ganzen Monat über hatte sie kaum Schlaf finden können, was den einzigen Vorteil hatte, daß ihre riesige Bettdecke um das Fünffache angewachsen war. Plötzlich trat Chencha heran und schreckte Tita aus ihrem Selbstmitleid hoch, um sie eiligst in Richtung Küche zu schieben. Dort setzte sie Tita an den Metate, wo sie die Gewürze und die Pfefferschoten zermahlen mußte. Um diesen Vorgang zu erleichtern, fügt man beim Zerstoßen wiederholt einige Spritzer Essig hinzu. Zum Schluß wird das fein gehackte oder durchgedrehte Fleisch mit den Pfefferschoten und den Gewürzen vermischt und einige Zeit, am besten eine Nacht lang, stehengelassen.
Sie hatten noch nicht ganz mit dem Zermahlen begonnen, da betrat auch schon Mama Elena die Küche und wollte wissen, warum das heiße Bad noch nicht fertig sei. Sie haßte es, so spät zu baden, da ihr Haar dann nicht mehr rechtzeitig trocken wurde.
Mama Elenas
Weitere Kostenlose Bücher