Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade
dann hatte sie sogleich gemerkt, wem diese Hand gehörte, und widerstandslos zugelassen, daß sie zuerst an ihrem Hals bis zu den Brüsten hinabglitt und schließlich ihren ganzen Körper von oben bis unten erkundete.
Während Tita einen Kuß auf dem Mund verspürte, hatte Pedros Hand nach der ihren gegriffen und sie ermuntert, ihm ihrerseits über den ganzen Körper zu streichen. Zögernd hatte Tita die harten Muskeln an Pedros Armen und Brust ertastet. Weiter unten hatte sie einen entflammten Holzscheit entdeckt, der durch die Kleidung hindurch pulsierte. Erschrocken hatte sie plötzlich die Hand zurückgezogen, nicht wegen dieser Entdeckung, sondern wegen eines Schreis aus Mama Elenas Kehle.
»Tita, wo bist du?«
»Hier, Mami, ich mußte mal auf die Toilette.«
Voller Furcht, Mama Elena könnte Verdacht schöpfen, war Tita schleunigst zurückgelaufen und hatte eine schreckliche Nacht damit verbracht, den heftigen Drang zu urinieren mitsamt einem anderen, ganz ähnlichen Gefühl zu unterdrücken. Doch diese Qual hatte ihr nicht im geringsten geholfen: Am darauffolgenden Tag hatte Mama Elena, die eine ganze Zeitlang ihre Meinung bezüglich Pedros und Rosauras Übersiedlung nach San Antonio, Texas, geändert zu haben schien, die Reisevorbereitungen derart vorangetrieben, daß nur drei Tage später alles zum Aufbruch bereit war.
Mama Elenas Erscheinen in der Küche verscheuchte schlagartig die Erinnerungen. Tita fiel glatt der Chorizo aus der Hand. Sie argwöhnte, ihre Mutter könne ihre Gedanken lesen. Dahinter tauchte Chencha auf, in Tränen aufgelöst.
»Hör auf zu weinen, meine Gute. Ich kann dich nicht so weinen sehen. Was ist denn los?«
»Ach, der Felipe ist wieder zurück und sagt, verreckt ist er!«
»Was sagst du da? Wer ist tot?«
»Na ja, der Kleine!«
»Welcher Kleine?«
»Na wer wird's schon sein. Eben Ihr Enkel, alles, was er zu essen bekommen hat, ist ihm schlecht bekommen, und da ist er halt verreckt!«
In Titas Kopf war es, als fiele ein Geschirrschrank um. Nach dem Donner beim Aufschlag kam das Poltern von Geschirr, das in tausend Stücke zerbarst. Wie von der Tarantel gestochen sprang sie auf.
»Bleib sitzen und arbeite gefälligst weiter! Ich will keine Tränen. Armes Wesen, Gott sei ihm gnädig, doch wir dürfen uns von der Trauer nicht überwältigen lassen, es gibt noch viel Arbeit zu erledigen. Zuerst machst du hier fertig und dann tu, was du willst, außer heulen, verstanden!«
Tita spürte, wie sie von einem heftigen Beben ergriffen wurde, und hielt dennoch dem Blick ihrer Mutter stand, während sie über den Chorizo strich. Dann freilich, statt ihrer Mutter zu gehorchen, sammelte sie alle Chorizos ein, die sie finden konnte, und haute sie in Stücke, wobei sie wie von Sinnen kreischte:
»Sehen Sie nur, was ich von Ihren Befehlen halte! Ich hab es satt! Ich hab's ein für allemal satt, Ihnen zu gehorchen!«
Mama Elena eilte zornig herbei, griff nach einem Holzlöffel und schlug Tita damit mitten ins Gesicht.
»Sie sind schuld an Robertos Tod!« schrie ihr Tita da wutentbrannt ins Gesicht und rannte hinaus, wobei sie sich das Blut von der Nase wischte; dann packte sie das Küken, den Eimer mit den Würmern und stieg kurz entschlossen zum Taubenschlag hinauf.
Mama Elena befahl daraufhin, die Leiter zu entfernen und Tita die ganze Nacht dort oben schmoren zu lassen. Dann füllte sie, ohne ein Wort zu sagen, zusammen mit Chencha die restlichen Würste. Bei der Sorgfalt, die Mama Elena darauf zu verwenden pflegte, daß keine Luftblasen entstanden, konnte sich letztendlich niemand erklären, wie es wohl dazu kam, daß man die Würste eine Woche später im Kellergewölbe, wo sie zum Trocknen lagerten, von Würmern übersät auffand.
Am folgenden Morgen verlangte Mama Elena, Chencha solle Tita herunterholen. Sie selbst war beim besten Willen nicht imstande hinaufzusteigen, denn wenn es etwas gab, wogegen sie nicht angehen konnte, so war es ihre Höhenangst.
Schon beim bloßen Gedanken, sie müßte über die sieben Meter lange Leiter nach oben steigen und dann auch noch die kleine Außentür öffnen, um hineinzugelangen, wurde ihr ganz bange. Also mußte sie stolzer tun, als sie war, und jemand anderen schicken, um Tita zu holen, wobei sie sich freilich lieber selbst nach oben begeben hätte, um Tita eigenhändig an den Haaren herunterzuzerren.
Chencha fand Tita mit dem Küken in der Hand vor. Sie schien nicht zu bemerken, daß es tot war, denn sie versuchte unermüdlich, ihm
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