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Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade

Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade

Titel: Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Esquivel
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erlöst, und das würde sie ihm niemals vergessen. Eines Tages, wenn sie wieder Lust hätte zu reden, würde sie John das gerne sagen; doch vorerst wollte sie weiter schweigen. Sie mußte noch so viele Dinge in ihrem Kopf ordnen, ja, sie vermochte einfach nicht in Worte zu fassen, was sich in ihrem Inneren zutrug, seit sie die Farm verlassen hatte. Sie fühlte sich völlig verwirrt. Die ersten Tage wollte sie nicht einmal ihr Zimmer verlassen, dorthin brachte ihr auch Caty, eine siebzigjährige Nordamerikanerin, die nicht nur die Küche führte, sondern auch für Alex, Doktor Browns kleinen Sohn, zu sorgen hatte, ihr Essen. Alex' Mutter war bei seiner Geburt gestorben. Tita hörte Alex fröhlich lachen und über den Hof toben, ohne daß sie die geringste Lust verspürt hätte, ihn kennenzulernen.
    Bisweilen kostete Tita nicht einmal von den Speisen, denn sie hatten einen faden Geschmack, der ihr zuwider war. Statt zu essen, verbrachte sie Stunden und Stunden damit, ihre Hände zu betrachten. Wie ein Neugeborenes inspizierte Tita sie, um sie schließlich als Teil ihrer selbst zu erkennen. Zwar konnte sie ihre Hände nach Gutdünken bewegen, wußte jedoch noch nicht so recht, was sie mit ihnen eigentlich anfangen sollte, außer zu häkeln. Nie zuvor hatte sie die Muße gehabt, ihre Zeit mit Gedanken über derartige Dinge zu vergeuden. An der Seite ihrer Mutter war das, was diese Hände zu tun hatten, ohne Zweifel kühl berechnet. Sie mußte aufstehen, sich ankleiden, das Feuer im Ofen entfachen, das Frühstück bereiten, die Tiere füttern, abwaschen, Betten machen, Essen kochen, abwaschen, die Wäsche bügeln, das Abendessen kochen, abwaschen, Tag für Tag, fahr für Jahr. Ohne auch nur einen Moment lang innezuhalten, ohne darüber nachzudenken, ob das ihren Händen überhaupt gerecht wurde. Als Tita sie nun ansah, so von den mütterlichen Zwängen befreit, wußte sie auf einmal nicht mehr, für welche Arbeit ihre Hände gut sein sollten, da sie nie zuvor selbständig darüber verfügt hatte. Sie konnten alles Mögliche machen, sich in alles Mögliche verwandeln. Wenn sie doch zu Vögeln würden und auf und davon flögen! Sie wünschte sich sehnlichst, sie möchten sie weit forttragen, so weit wie möglich. Sie trat zum Fenster, das auf den Hof hinausging, hob ihre Hände gen Himmel und versuchte, sich selbst zu entfliehen, versuchte, nicht daran zu denken, sich bloß nicht zu entscheiden, bloß nicht wieder zu sprechen. Sie wollte nicht, daß die Worte ihren Schmerz herausschrieen.
    Inständig hoffte sie, ihre Hände würden sich in die Lüfte erheben. Eine ganze Weile verharrte sie in dieser Stellung und schaute zwischen ihren reglosen Fingern hindurch auf den blauen Himmel im Hintergrund. Als Tita so in die Betrachtung vertieft war und plötzlich sah, wie ihre Hände sich in zartem Dunst auflösten und zum Himmel emporschwebten, wollte sie fast meinen, das Wunder würde Wirklichkeit. Schon hielt sie sich bereit, von einer höheren Macht angezogen, ebenfalls aufzusteigen, doch nichts dergleichen geschah. Enttäuscht mußte sie am Ende einsehen, daß jener Rauch nicht von ihr ausging.
    Er stieg aus einem kleinen Raum am Ende des Hofes auf. Eine Dunstwolke entfaltete sich in der Luft mit einem so angenehmen und zugleich vertrauten Duft, daß Tita unweigerlich das Fenster öffnete, um ihn tief einzusaugen. Dabei sah sie mit geschlossenen Augen, wie sie neben Nacha auf dem Küchenboden saß und Maistortillas bereitete: Sie sah den Topf, in dem eine köstlich duftende Suppe brodelte, daneben die Frijoles, die gerade garkochten, und wurde vom Wunsch gepackt, unverzüglich nachzusehen, wer wohl dort in der Küche hantierte. Caty konnte es nicht sein. Wer solche Wohlgerüche beim Kochen produzierte, war eine Expertin in Küchenangelegenheiten. Ohne sie noch gesehen zu haben, meinte Tita sich in jener Person wiederzuerkennen, wer immer es auch sein mochte.
    Kurz entschlossen überquerte sie den Patio, öffnete die Tür und stieß, als sie den Raum betrat, auf eine sympathische Frau um die achtzig. Sie sah Nacha sehr ähnlich. Ein langer Zopf war um ihren Kopf gewunden, und mit der Schürze wischte sie sich soeben den Schweiß von der Stirn. Ihr Gesicht trug deutlich indianische Züge. Sie kochte Tee in einem irdenen Gefäß.
    Da schaute sie auf, lächelte Tita freundlich zu und hieß sie, neben ihr Platz zu nehmen. Tita ließ sich nicht zweimal bitten. Sogleich reichte die Frau ihr eine Tasse von diesem köstlich duftenden

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