Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade
einem Ende verschlossenes, geknicktes Reagenzglas, das am anderen Ende in Quecksilber getaucht war. Dann schmolz er den Phosphor über einer Kerze. Schließlich leitete er mit Hilfe eines kleinen Überlaufbehälters voller Sauerstoff das Gas über den Behälter mit Quecksilber nach und nach in das Reagenzglas. Sobald es nach oben gelangt war, wo sich der geschmolzene Phosphor befand, zündete ein jäher, heftiger Funke, der blitzartig aufflammte.
»Wie Sie sehen, bergen wir alle die nötigen Elemente zur Erzeugung von Phosphor in unserem Inneren. Und damit nicht genug, ich will Ihnen etwas gestehen, was ich noch niemandem offenbart habe. Meine Großmutter vertrat eine äußerst interessante Theorie, die besagt, wenn wir auch alle mit einer Schachtel Zündhölzer in uns auf die Welt kommen, sind wir dennoch nicht in der Lage, sie allein zu entfachen, sondern benötigen, wie im vorgeführten Experiment, die Hilfe von Sauerstoff und einer Kerze. Nur daß in diesem Fall der Sauerstoff zum Beispiel dem Atem einer geliebten Person entstammt; die Kerze kann durch jede Form von Nahrung, Musik, Zärtlichkeit, Worten oder Klängen ersetzt werden, alles, was den Zündkopf bersten lassen und eines der Streichhölzer in Brand stecken kann. Für eine Weile fühlen wir eine starke Erregung in uns auflodern. Im Inneren unseres Körpers breitet sich eine behagliche Wärme aus, die jedoch allmählich wieder verschwindet, bis eine neue Explosion das Feuer nochmals entfacht. Jeder einzelne muß herausfinden, welche seine Lunten sind, um leben zu können, denn die Verbrennung, die bei jeder Zündung entsteht, spendet der Seele Energie. Mit anderen Worten liefert diese Verbrennung Nahrung für die Seele. Entdeckt man nicht beizeiten die eigenen Auslöser einer solchen Zündung, werden die Streichhölzer feucht, und wir können sie nie mehr entzünden. Sollte es soweit kommen, flieht die Seele aus unserem Körper, irrt durch tiefste Finsternis auf der vergeblichen Suche nach Nahrung, ohne zu ahnen, daß allein der Körper, den sie wehrlos und ausgekühlt zurückgelassen hat, diese Nahrung bereithält.«
Wie wahr sprachen doch diese Worte! Wenn einer das wußte, so war es Tita.
Leider mußte sie sich eingestehen, daß ihre Streichhölzer völlig durchweicht und verschimmelt waren. Niemandem würde es je wieder gelingen, auch nur ein einziges neu zu entzünden.
Das Schlimmste war ja, daß sie sehr wohl ihre Lunten kannte, doch jedes Mal, wenn es ihr gelungen war, ein Streichholz in Brand zu setzen, hatte man es ihr unerbittlich wieder ausgeblasen.
Als könne er ihre Gedanken lesen, bemerkte John:
»Deshalb sollte man Personen fliehen, die einen frostigen Atem haben. Allein ihre Gegenwart würde genügen, um das heftigste Feuer zu löschen, mit den besagten Folgen. Je mehr wir uns von solchen Personen fernhalten, desto leichter können wir uns vor ihrem Atemhauch schützen.« Während er eine Hand Titas ergriff, fuhr er wie beiläufig fort: »Es gibt viele Möglichkeiten, eine Schachtel feuchter Streichhölzer trocken zu bekommen, auf jeden Fall können Sie sicher sein, daß es ein Heilmittel gibt.«
Tita konnte nicht verhindern, daß ihr ein paar Tränen über das Gesicht rollten. Voller Zärtlichkeit wischte John sie ihr mit seinem Taschentuch fort.
»Natürlich muß man auch sehr gut achtgeben, daß man die Streichhölzer eines nach dem anderen anzündet. Denn wenn aus einer übermächtigen Gemütsbewegung heraus plötzlich alle auf einmal in Flammen stehen, verbreiten sie einen so hellen Glanz, daß er weit über das hinaus leuchtet, was wir normalerweise zu sehen vermögen, und dann tut sich vor unseren Augen ein strahlender Tunnel auf, der uns den Weg weist, den wir im Augenblick der Geburt vergaßen, und uns dazu aufruft, unseren verlorenen göttlichen Ursprung wiederzufinden. Die Seele drängt es danach, mit dem Ort ihrer Herkunft erneut zu verschmelzen und den Körper reglos zurückzulassen... Seit meine Großmutter starb, habe ich versucht, diese Theorie wissenschaftlich zu belegen. Vielleicht gelingt es mir eines Tages. Was meinen Sie?«
Doktor Brown schwieg nun, um Tita Gelegenheit zu geben, ihre Meinung beizusteuern, sollte sie es wünschen. Doch sie schwieg wie ein Grab.
»Nun gut, ich will Sie nicht länger mit meinem Gerede langweilen. Gehen wir uns ausruhen, doch als letztes möchte ich Ihnen noch ein Spiel vorführen, das meine Großmutter häufig mit mir praktizierte. Hier verbrachten wir die meiste Zeit des
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