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Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade

Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade

Titel: Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Esquivel
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konnte bisweilen in der heißen Jahreszeit geschehen, wenn das Wasser den ganzen Tag über im Tank durch die starke Einwirkung der Sonnenstrahlen aufgeheizt worden war, doch nicht zum augenblicklichen Zeitpunkt, da es erstens nicht Sommer war und zweitens bereits dunkel wurde. Besorgt öffnete sie die Augen, denn sie fürchtete, der Verschlag könnte aufs neue Feuer fangen, doch da entdeckte sie hinter den Brettern die Gestalt Pedros, der sie wie gebannt beobachtete.
    Pedros Augen funkelten derart, daß sie in der Dämmerung gleich winzigen, im Dickicht verborgenen Tautropfen unter Einwirkung der ersten Sonnenstrahlen nicht mehr zu übersehen waren. Verflucht sei Pedros Blick! Und verflucht sei der Zimmermann, der diesen Baderaum in der alten Form wieder aufgebaut hatte, also mit einem Spalt zwischen den einzelnen Brettern! Als sie sah, wie Pedro sich ihr mit lüsternem Ausdruck näherte, verließ sie fluchtartig den Baderaum und zog sich hastig an. So schnell sie ihre Beine trugen, rannte sie auf ihr Zimmer und schloß sich dort ein. Kaum hatte sie sich notdürftig zurechtgemacht, als Chencha auch schon meldete, John sei eingetroffen und erwarte Tita im Salon.
    Tita konnte John leider nicht sogleich begrüßen, da nicht einmal der Tisch gedeckt war. Bevor die Decke aufgelegt wird, muß man den Tisch mit einer Unterlage abdecken, um das Klirren der Teller und Gläser beim Abstellen zu dämpfen. Sie sollte möglichst aus weißem Flanell sein, damit so das Weiß der Tischdecke verstärkt wird. Tita breitete sie behutsam über den riesigen Tisch mit Platz für zwanzig Personen, den sie nur zu besonderen Gelegenheiten benutzten. Sie war dabei bemüht, jeglichen Lärm zu vermeiden, selbst beim Atmen, um das Gespräch zu belauschen, das Rosaura, Pedro und John im Salon führten. Salon und Eßzimmer waren durch einen langen Korridor getrennt, so daß nur das Gemurmel von Pedros und Johns Männerstimmen an Titas Ohr gelangte, aus dem sie jedoch einen leicht gereizten Unterton heraushören konnte. Um zu verhindern, daß die Spannung sich verschärfte, deckte sie rasch die Teller in der vorgeschriebenen Reihenfolge auf, das Silbergeschirr, die Gläser, Salzstreuer und Messerbänkchen. Geschwind setzte sie noch die Kerzen unter die Wärmeplatten für die Hauptgerichte, die erste und zweite Vorspeise, und stellte alles auf dem Buffet bereit. Dann eilte sie in die Küche, um den Bordeaux zu holen, den sie in ein lauwarmes Wasserbad gestellt hatte. Der Wein wird mehrere Stunden zuvor aus dem Keller geholt und an einem wärmeren Ort gelagert, damit er in der Zimmertemperatur sein Aroma entfaltet. Doch Tita hatte vergessen, ihn zeitig hochzuholen, und half diesem Vorgang künstlich nach. Als einziges fehlte noch das vergoldete Bronzekörbchen mit dem Blumengesteck in der Mitte des Tisches; doch die Blumen kommen erst kurz vor der Ankunft der Gäste auf den Tisch, damit sie ihre natürliche Frische bewahren; daher überließ sie diese Aufgabe Chencha und machte sich so rasch, wie ihr gestärktes Kleid es gestattete, auf den Weg zum Salon.
    Die erste Szene, die sich ihr beim Öffnen der Tür darbot, war ein hitziger Disput zwischen Pedro und John über die politische Lage im Land. Beide schienen die elementarsten Regeln guten Benehmens zu vergessen, daß nämlich Diskussionen über Persönlichkeiten, traurige Themen oder Unglücksfälle, Religion oder Politik strengstens tabu sind. Mit ihrem Eintreten unterbrach Tita sie und zwang sie, sich freundlich zu unterhalten.
    In dieser angespannten Atmosphäre schickte sich John nun an, um Titas Hand anzuhalten. Als Herr des Hauses gab Pedro in barschem Ton seine Einwilligung. Dann begann man, die Einzelheiten auszuhandeln. Als es darum ging, das Datum festzulegen, erfuhr Tita von Johns Bestreben, die Hochzeit noch etwas aufzuschieben, um Zeit für eine Reise in den Norden der USA zu gewinnen, wo er seine einzige noch lebende Tante abholen wollte, damit sie an dem Familienfest teilhaben konnte. Diese Tatsache stellte Tita vor ein großes Problem: Sie wünschte nämlich, so schnell wie möglich die Farm zu verlassen, um Pedros Nähe zu fliehen.
    Die Verlobung war geschlossen, als John Tita einen wundervollen Brillantring ansteckte. Tita betrachtete lange den glitzernden Edelstein an ihrer Hand. Dieses Funkeln erinnerte sie unwillkürlich an das Blitzen in Pedros Augen noch vor wenigen Minuten, als er sie ohne Kleider angestarrt hatte, und dabei kam ihr ein Otomí-Gedicht in den Sinn, das Nacha

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