Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade
sie, und auf der anderen war, hoffnungslos benachteiligt, Rosaura. Titas Schwester mangelte es völlig an Rückgrat; ihr einziges Interesse galt der Sorge, was wohl die Leute sagen würden, das heißt, am meisten fürchtete sie das Gerede. Sie war unverändert dick und verbreitete einen unangenehmen Geruch, ein gravierendes Problem, dem nicht einmal Titas Hausmittelchen Abhilfe zu schaffen vermochten. Was würde geschehen, wenn Pedro seine Frau ihretwegen verließe? Wie schwer würde das Rosaura treffen? Was würde dann vor allem aus Esperanza?
»Ich langweile dich wohl sehr mit meinem Geschwätz, nicht wahr?«
»Nicht im geringsten, Gertrudis, warum sagst du das?«
»Na weil ich eben schon seit einer Weile an deinem Blick merke, daß du mit den Gedanken ganz woanders bist. Sag schon, was ist los mit dir? Es geht um Pedro, hab ich recht?«
»Ja.«
»Aber wenn du ihn noch immer liebst, warum heiratest du dann John?«
»John werde ich doch gar nicht mehr heiraten, das ist jetzt unmöglich.«
Da schlang Tita plötzlich die Arme um Gertrudis und weinte sich still an ihrer Schulter aus.
Gertrudis strich ihr zärtlich übers Haar, doch ohne dabei auch nur für einen Moment die Creme aus den Augen zu lassen, die auf dem Feuer stand. Es wäre doch zu schade, wenn sie ungenießbar würde. Als die Masse drauf und dran war anzubrennen, schob Gertrudis Tita behutsam beiseite und sagte sanft:
»Laß mich das nur eben mal vom Feuer nehmen, dann kannst du gleich weiter weinen, einverstanden?«
Tita mußte unwillkürlich lächeln, als sie sah, daß Gertrudis sich selbst in einem solchen Moment mehr Sorgen um die Rettung der Süßspeise machte als um die ihrer Schwester. Natürlich war diese Reaktion verständlich, denn einerseits wußte Gertrudis nicht, wie groß ihr Kummer war, und andererseits konnte sie nun einmal nicht widerstehen, wenn es Torrejas gab ...
Tita trocknete sich also die Tränen und nahm den Topf vom Feuer, denn Gertrudis hatte sich bei dem Versuch, es selbst zu tun, gehörig die Finger verbrannt.
Sobald die Creme erkaltet ist, schneidet man sie in kleine Stücke, gerade so groß, daß sie nicht auseinanderfallen. Dann schlägt man das Eiweiß zu Schnee, wälzt die Cremeportionen darin und backt sie schließlich in Öl aus. Zum Schluß tunkt man sie in Sirup und bestreut sie mit gemahlenem Zimt.
Während sie die Creme abkühlen ließen, damit sie überzogen werden konnte, vertraute Tita ihrer Schwester alle ihre Sorgen an. Zuerst zeigte sie ihr den geschwollenen Leib und erklärte, wie schlecht sie inzwischen schon ihre Kleider und Röcke darüber schließen konnte. Dann erzählte sie ihr, daß sie morgens beim Aufstehen Schwindel und Übelkeit verspürte und ihre Brust so stark schmerzte, daß man sie nicht einmal berühren durfte. Zu guter Letzt sagte sie ihr noch mit einem Ton verhaltenen Widerwillens gegen ihren Zustand, daß vielleicht, nun ja, daß es möglich sei, wer weiß, also aller Wahrscheinlichkeit nach ... sie ein ganz klein wenig schwanger sein könnte. Gertrudis hörte ihr die ganze Zeit über aufmerksam zu, ohne ein Wort zu sagen oder gar einen Anflug von Verwunderung zu zeigen. Während der Revolution hatte sie sehr viel schlimmere Dinge als das hier gesehen und gehört.
»Und sag mal, weiß Rosaura es schon?«
»Nein, ich frage mich auch, was sie machen würde, wenn sie die Wahrheit erführe.«
»Die Wahrheit! Die Wahrheit! Sieh mal, Tita, die einzige Wahrheit ist die, daß es die Wahrheit nicht gibt, das hängt doch vom Standpunkt eines jedes einzelnen ab. In deinem Fall zum Beispiel könnte die Wahrheit doch auch sein, daß Rosaura auf hinterlistigste Art Pedro geheiratet hat und daß es sie nicht auch nur soviel interessierte, wie sehr ihr euch liebtet, oder nicht?«
»Na ja, Tatsache ist aber, daß sie jetzt die Ehefrau ist und nicht ich.«
»Was heißt das schon! Hat diese Hochzeit denn irgend etwas an dem geändert, was ihr, Pedro und du, aus tiefsten Herzen füreinander empfindet?«
»Nein.«
»Na also. Da gibt es gar keinen Zweifel! Weil nämlich diese Liebe eine der wahrhaft aufrichtigsten ist, die ich in meinem ganzen Leben gesehen habe. Und ihr, sowohl Pedro als auch du, habt den Fehler begangen, euch über diese Wahrheit auszuschweigen, doch noch ist es Zeit. Sieh mal, Mama ist inzwischen tot, und weiß Gott, sie war wirklich nicht mit Vernunftsgründen zu überzeugen, doch bei Rosaura ist das anders, sie kennt die Wahrheit sehr wohl und muß sie auch einsehen, hat
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