Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade
sie im Grunde genommen schon immer eingesehen. Also bleibt euch nichts anderes übrig, als eure Wahrheit zur Geltung zu bringen und Punkt.«
»Du rätst mir also, mit ihr zu sprechen?«
»Sieh mal, was ich dir sagen kann, was ich an deiner Stelle tun würde ... Warum machst du übrigens inzwischen nicht eben den Sirup für meine Torrejas fertig, ich meine nur so, allmählich wird es nämlich etwas spät.« Tita stimmte diesem Vorschlag zu und begab sich sogleich an die Arbeit, ohne sich freilich dabei auch nur ein Wort ihrer Schwester entgehen zu lassen. Gertrudis saß mit dem Gesicht zur Hintertür, die von der Küche aus auf den Hof führte. Tita hantierte gerade auf der anderen Seite des Tisches mit dem Rücken zur Tür, weshalb sie unmöglich sehen konnte, daß Pedro gerade mit einem Sack voll Bohnen für die Verköstigung der Truppe beladen auf die Küche zukam. Da berechnete Gertrudis mit ihrer großen Erfahrung auf dem Schlachtfeld strategisch genau die Zeit, die Pedro brauchen würde, bis er über die Türschwelle träte, um ihm in eben diesem Augenblick entgegenzuschleudern:
»... Und ich meine, unter diesen Umständen wäre es angebracht, Pedro erführe, daß du ein Kind von ihm erwartest.«
Sie hatte genau ins Schwarze getroffen! Wie vom Blitz getroffen ließ Pedro augenblicklich den Bohnensack auf den Boden fallen. Er verzehrte sich sichtlich vor Liebe zu Tita. Vor Schreck drehte diese sich nun auf dem Absatz um und entdeckte Pedro, der sie voll Rührung und mit Tränen in den Augen anblickte.
»Pedro, welch ein Zufall, daß Sie gerade jetzt hereinkommen! Meine Schwester hat Ihnen etwas mitzuteilen. Warum geht ihr nicht einfach raus in den Küchengarten, um euch einmal richtig auszusprechen; ich werde inzwischen den Sirup fertigmachen.«
Tita wußte nicht, ob sie Gertrudis für ihr Eingreifen gram oder dankbar sein sollte. Später würde sie noch ein Wörtchen mit ihr zu reden haben, im Augenblick blieb ihr freilich nichts weiter übrig, als sich um Pedro zu kümmern. Schweigend reichte sie Gertrudis also das Gefäß, das sie in der Hand hielt, um den Sirup anzurühren, kramte aus dem Tischschubfach ein zerknittertes Stück Papier mit dem Rezept hervor und übergab es Gertrudis für den Fall, daß sie es benötigen sollte. Von Pedro gefolgt verließ sie sodann die Küche.
Natürlich brauchte Gertrudis das Rezept, ohne es wäre sie unfähig, auch nur einen Handgriff zu tun. Aufmerksam begann sie, die Anweisungen durchzulesen, um sie sogleich in die Tat umzusetzen: Man verquirlt ein Eiweiß mit einem halben Cuartillo Wasser auf 2 Pfund Zucker oder braunen Rohrzucker oder zwei Eiweiß mit einem Cuartillo Wasser auf 5 Pfund Zucker und im gleichen Verhältnis für größere bzw. geringere Mengen. Dann läßt man den Sirup dreimal aufkochen, wobei die kochende Flüssigkeit jeweils mit etwas kaltem Wasser wieder abgekühlt werden muß, sobald sie aufsteigt. Danach nimmt man sie vom Feuer, läßt sie stehen und schäumt sie schließlich ab; man fügt abermals ein wenig Wasser und ein Stück Apfelsinenschale, Anis und Nelken nach Geschmack hinzu und bringt den Sirup erneut zum Kochen. Nun schäumt man zum zweiten Mal ab und läßt ihn weiterhin auf dem Feuer, bis er den Grad des weichen Ballen erreicht hat. Dann passiert man das Ganze durch ein Haarsieb oder ein feines, über einen Rahmen gespanntes Tuch. Gertrudis las das Rezept, als handelte es sich um Hieroglyphen. Weder verstand sie, wieviel 5 Pfund Zucker bedeuteten, noch die Mengenangabe von einem Cuartillo Wasser und am allerwenigsten, was mit dem Grad des Ballen gemeint war. Sie wußte nur, daß sie selbst allmählich auf dem Siedepunkt angelangt war. Verzweifelt lief sie auf den Hof hinaus, wo sie sich hilfesuchend an Chencha wandte.
Chencha war gerade damit beschäftigt, unter die Kampfgefährten am fünften Frühstückstisch die restlichen Bohnen zu verteilen. Es war der letzte Tisch, den sie versorgen mußte, doch sobald sie alle bedient hätte, würde es schon an der Zeit sein, den Revolutionären am ersten Tisch nach Beendigung ihrer geheiligten Frühstückszeremonie das Mittagessen aufzutragen, und so würde es bis zehn Uhr abends ohne Unterbrechung weitergehen, bis sie nämlich am letzten Tisch das Abendessen serviert hätte. Daher war es nur allzu verständlich, daß sie ausgesprochen ungehalten und barsch reagierte, sobald sich jemand ihr auch nur näherte, um sie zu bitten, eine zusätzliche Arbeit zu erledigen. Gertrudis bildete da
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