Essen kann jeder
feinen Maske der Kultur verbirgt sich immer noch die schmatzende Fratze des rohen Barbaren.
3 FERTIG, MACHT SIE FERTIG!
Der Supermarkt. Wir lassen uns gemütlich durch die endlosen Re galreihen treiben. Spiegelnder Linoleumboden. Tonbandmusik. Vor einem Regal mit Fertiggerichten bleiben wir stehen.
»Sanne, kennst du Tütensuppen-Raten? Ich lese dir die Zutaten vor, und du musst erraten, was für ein Gericht das ist!«
»O. k.!«
»Weizenmehl, modifizierte Stärke, Jodsalz, Maltodextrin, Hefe extrakt, Säuerungsmittel Natriumdiacetat, pflanzliches Öl, Ge würze, Monosodiumglutamat … Und, schon eine Idee?«
»Schlemmerpfanne Bitterfeld?«
»Fast, Sanne. Pommer’sche Gemüsesuppe!«
»Kein Wunder, dass sich Mecklenburg entvölkert. Jetzt bin ich dran! Weizenmehl, modifizierte Stärke, Jodsalz, Tomatenpulver, Maltodextrin, Hefeextrakt …«
»Das hab doch ich gerade vorgelesen!«
»Du hast nicht aufgepasst. Hier ist noch Tomatenpulver drin!«
»Dann ist die Sache klar. Mafiatopf alla Corleone.«
»Fast. Nudelauflauf alla mamma!«
»Alla mamma? Mütter, die das kochen, sollten ihre Kinder vielleicht besser im Wald aussetzen!«
»Pass auf, das ist der Knaller. Sage und schreibe 63 Zutaten. Färbende Gewürzextraktzubereitung, Riboflavin, Glucosesirup, Säureregulator, Stabilisator Diphosphate, Verdickungsmittel Guarkernmehl, Ammonsulfit …«
»Das ist ja grausam …!«
» … Monosodiumglutamat, modifizierte Maiswachsstärke, Emul gator Lecithin …«
»Aufhören!«
»Und schließlich Mono- und Diacetylweinsäureester von Mono- und Diglyceriden von Speisefettsäuren. Jetzt rate mal, was das ist?«
»Sag schon!«
»Nürnberger Rostbratwürste mit Kartoffelbrei und Sauerkraut Hausfrauenart.«
Der Aromaschock
Ganz am Ende solcher Inhaltslisten des Grauens stehen meist noch die Aromen. »Natürliches Aroma«, liest man und freut sich: endlich was Natürliches. Aber dann kommt man ins Grübeln – haben nicht auch Sportsocken ein ganz natürlich entstandenes Aroma? Der Clou ist, dass zum Beispiel natürliche Erdbeeraromen gar nicht aus Erdbeeren gewonnen werden. Wäre ja auch doof, dann könnte man ja gleich Erdbeeren in den Joghurt rühren! Nein, Erdbeeraromen werden aus Sägemehl hergestellt. Das steht natürlich nicht auf der Verpackung. Oder haben Sie schon mal einen Joghurt mit der Geschmacksrichtung »Nutzholz-Maracuja« in der Hand gehabt? Wobei Bäume wenigstens noch edle Geschöpfe des Waldes sind. Eine Tannenrinden-Akazienborken-Speisequarkmischung würde in einem Kreuzberger Naturkostladen sicherlich reißenden Absatz finden.
Schwieriger wäre das allerdings bei Kokos- oder Ananasaromen. Die werden nämlich aus Schimmelpilzen hergestellt. Und auch das darf als natürliches Aroma deklariert werden, schließlich sind Schimmelpilze ja überaus natürliche Dinge (wobei mir da die Sportsocke als Geschmacksquelle fast lieber wäre). Anstelle der kleinen, lustigen Ananas müssten auf dem Joghurtbecher eigentlich grüne, pelzige, in der Milch treibende Inselchen abgebildet sein. Dann wüsste man als Kunde, woran man ist. Selbst die Fruchtstücke halten nicht, was sie versprechen. In vielen Fällen handelt es sich um gefärbte Gelatinestücke. Der Le bensmittelchemiker spricht hier von »Schauobst«. Inhaltlich bringt es nichts – sieht einfach nur gut aus!
Hinter dem einfachen Wort »Aroma« versteckt die Lebensmittelindustrie über 2 500 verschiedene chemische Substanzen, die nicht genauer deklariert werden müssen. Viele Wissenschaftler sehen den massiven Einsatz von Geschmacksstoffen mittler weile sehr kritisch. Zum einen, weil sie unseren Appetit künstlich anregen. Zum anderen, weil wir unseren natürlichen Geschmacks sinn dadurch verlieren. Neun von zehn Kindern sollen schon künstliche Erdbeeraromen den natürlichen vorziehen. Die meis ten Kinder erkennen natürliche Nahrungsmittel überhaupt nicht mehr am Geschmack. Unsere Sinne stumpfen ab. Auch die Menge an konsumierten Aromen nimmt von Jahr zu Jahr zu. Das ist wie bei einem Junkie: Immer höhere Dosen Schimmel sind nötig, damit Ananas nach Ananas schmeckt.
Andererseits: Ohne Aromen wären viele moderne Nahrungs mittel auch gar nicht genießbar. Seit dem Dioxinskandal im Frühjahr 2011 wissen wir, dass Schweine und Hühner auch gerne mal Abfallfette aus der Biodieselproduktion im Futtertrog vorfinden. Haben Sie sich nie gefragt, wie die armen Säue das Zeug runterkriegen? Ganz einfach: Das Kraftstofffutter schmeckt nach Vanille oder
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