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Essen mit Freunden - Roman

Essen mit Freunden - Roman

Titel: Essen mit Freunden - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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Freundschaftsdienste geredet. Freundschaften mussten dem Finanzamt ja nicht gemeldet werden. Bei
dieser Information war Luise eingefallen, dass das Fachgebiet von Herrn Berg Steuerrecht war. Nachdem Doktor Kahle wohl auch verführerisch die Worte ›später vielleicht sogar eine Imagebroschüre in Hochglanz‹ in die Luft gemalt hatte, musste ihre Chefin noch einen lukrativen Folgeauftrag oder die Möglichkeit einer weiteren freundschaftlichen Runderneuerung gewittert haben.
    Â 
    Â»Das akademische Viertel«, sagte Frau Berg nach einem kurzen Blick auf die Uhr mehr zu sich als zu Luise. »Oder es ist ein Notfall dazwischengekommen. Haben Sie endlich alles?« Sie nahm Luise die Flyer, die gerade abgegeben worden waren, aus der Hand und überflog die Seite.
    Â»Kaffee steht auf dem Tisch. Milch, Zucker. Es ist alles da.« Luise klang, als ob sie Anweisungen für autogenes Training gäbe. Sie versuchte, Ruhe auszustrahlen und dezent im Hintergrund zu wirken. Wenn Doktor Kahle erst einmal da wäre, könnte sich Luise nach hinten in ihr Büro zurückziehen und durchatmen. Sie hatte seit dem Abend in der Galerie kaum geschlafen und war fünf Tage übermüdet durch den Alltag getaumelt. Die dunklen Gefühle, die Frau Berg in ihr auslöste, die Wut auf ihre Mutter, die Traurigkeit darüber, dass niemand zu Hause auf sie wartete, mit dem sie all diese Sachen besprechen konnte, kein Mann, keine Katze, all das hatte sie beiseitegeschoben, denn egal wie es ihr ging, heute musste sie hundertfünfzigprozentig präsent sein. Frau Berg konnte zwar Hof halten und repräsentieren wie eine Königin, doch für den reibungslosen Ablauf des Protokolls war Luise zuständig.
    Es klingelte.
    Â»Huschhusch«, sagte Frau Berg, den Blick auf den kleinen
Schminkspiegel in ihrer Linken gerichtet. Mit der anderen Hand wedelte sie in Richtung Tür, als wolle sie eine lästige Fliege verscheuchen.
    Für einen kurzen Moment schloss Luise die Augen. Sie versuchte, sich zu beherrschen. Nur noch eine kleine Weile. Wenn sie durchhielt und alles glattlief, würde sie früher Schluss machen können. Nach Hause fahren. Schlafen. Doch unaufhaltsam spürte sie eine Welle in sich branden, glühend heiß, die von einem Punkt kurz unterhalb ihres Nabels über den Magen hinwegspülte, ihr Sonnengeflecht in Brand setzte, das Brustbein hinaufrollte und ihre Wangen glühen ließ.
    Â»Frau Blum, bitte!« Frau Berg sah vom Spiegel auf und Luise direkt in die Augen, sämtliche Hierarchie von Text-Berg lag in diesem Blick.
    Luise drehte sich um, schluckte das gallige Gefühl hinunter und öffnete die Tür.
    Â 
    Nachdem sie Doktor Kahle in das Büro geführt und den Kaffee eingeschenkt hatte, war Luise überflüssig. In der Küche steckte sie sich eines der restlichen Schokoladentäfelchen in den Mund und stellte den Wasserkocher an. Sie entschied sich gegen einen Espresso. Er würde ihr Herz nur noch mehr ins Stolpern bringen. Im Küchenschrank fand sie ein Päckchen Detox-Tee. Gut. Was beim Fasten reinigte, würde vielleicht ja auch bei Luise das Gift der letzten Tage hinausspülen. Mit dem Tee ging sie in ihr Büro, ließ die Tür ins Schloss fallen und setzte sich an den Schreibtisch. Ruhe, endlich Ruhe. Sie legte ihre Hände um die Tasse, schloss die Augen und atmete durch. Wenn jetzt alles glattging, hätte sie eine Stunde für sich. Wäre Doktor Kahle dann fort, würde Frau Berg sie rufen, um sämtliche Details des Treffens loszuwer
den, und Luise müsste sich mit noch mehr privaten Informationen, die sie nichts angingen und die sie nicht hören wollte, vollstopfen lassen. Danach würde sie jedoch die Gunst der Stunde nutzen und fragen, ob sie früher gehen dürfte.
    Doch anscheinend hatte das Leben anderes geplant. Das Telefon klingelte. Ein interner Anruf. Der Anschluss von Frau Berg: »Frau Blum, kommen Sie nach vorn. Sofort!«
    Â 
    Â»Schauen Sie sich das an. Ist das etwa Ihr Ernst?« Frau Berg stand mitten im Raum, den Rücken kerzengerade, das Gesicht wutverzerrt. Sie hielt Luise den Flyer entgegen.
    Luise sah es auf den ersten Blick. Sah es, weil sie den Text in- und auswendig kannte. Sie hatte ihn nicht nur mehrmals Korrektur gelesen, sondern selbst geschrieben, darum wusste sie genau, wo die Fallen in den Formulierungen lagen und welche Worte man behandeln musste, als sei man ein

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