Essen mit Freunden - Roman
Völlig. Aber glaub bloà nicht, dass ich dich irgendwo abhole, wenn etwas passiert ist ⦠Ich leg jetzt auf, Mama ⦠Ich leg auf!«
Â
Luise stand wie angewurzelt auf dem Gehsteig vor der Galerie. Als sie sich zur Fensterfront umwandte, wurde ihr klar, dass sie wohl lauter geredet hatte als beabsichtigt. Die Tür zur Galerie stand sperrangelweit offen, die Musik vom Band drinnen war bereits abgestellt, der Chor hatte noch nicht mit seinem Weihnachtslieder-Medley begonnen. Die Gespräche waren teilweise verstummt. Neugierige Gesichter blickten ihr entgegen, offensichtlich interessiert, was vor der Tür wohl gerade abgelaufen sein mochte.
»Luise?« Thorbens Stimme war ganz dicht neben ihr. »Ist alles okay?« Seine Hand lag auf ihrer Schulter.
Nichts ist okay, schoss es ihr durch den Kopf. Tausend Gedanken wirbelten wie Schneeflocken, aber sie ergaben keinen Sinn, keinen Zusammenhang. Sie dreht durch. Sie spinnt. Sie lässt sich völlig beeinflussen. Ihre Mutter! Was wollten die beiden in Buenos Aires? Tango tanzen. Sie sollte eher an die Thrombosegefahr denken. Argentinien war ein Langstreckenflug. Und das Essen, das Luise seit Wochen für den Geburtstag geplant hatte? Was hatte er überhaupt zu melden? Er war ein Fremder, der sich in ihre Familie drängte. Heraus bekam Luise aber kein einziges Wort. Sie sah Thorben an und merkte, als er ihr mit seinem Taschentuch über die
Wangen strich, dass es wohl nicht Schnee war, der ihr in den Wimpern hing, sondern Tränen.
»Wollen wir zu Anne und Natascha gehen, oder soll ich dich lieber nach Hause fahren?«
»Nach Hause«, sagte sie leise.
âKoffein
»Haben Sie an den Kaffee gedacht?«
»Ja, der läuft gerade durch.«
»Milch, Zucker?«
»Steht auf dem Tablett.«
»Und wo bitte schön ist das Tablett?«
»In der Küche. Ich bringe es herein, sobald der Kaffee fertig ist.«
Luise stellte eine Schale mit Schokoladentäfelchen auf den Tisch in Frau Bergs Büro und rückte die Blumenvase zurecht. Sie bemühte sich, gelassen zu bleiben, doch das war schwierig, wenn Frau Berg dauernd dazwischenfunkte. Natürlich wusste Luise, wie wichtig ihrer Chefin das Treffen mit Doktor Kahle war. Seit er Frau Berg vorletzte Woche vorgestellt wurde, war von nichts anderem die Rede. Ein Abendessen mit Anwälten und Ãrzten. Frau Berg hatte in der Besprechung am darauffolgenden Montag in den höchsten Tönen geschwärmt. Vom Zander, von Doktor Kahle und von der gepflegten Konversation. Erbrecht und Schönheitschirurgie, Schadenersatzklagen und Eigenfetttransplantation. Luise hatte bei Frau Bergs plötzlicher Begeisterung für Körperfett und die Vielzahl der Orte, an die es dekorativ umgesie
delt werden konnte, geahnt, dass sich das Dessert an jenem Abend vermutlich in doppelter Portion an Frau Bergs Rundungen schmiegen durfte, da ihre Chefin nach dem Zander einen Entschluss gefasst haben musste. Durch einen kleinen Eingriff würde das Berg'sche Fett von jenseits der Gürtellinie zukünftig die Zornesfalten ihrer Stirn auspolstern, wodurch sich an den Wutausbrüchen sicher nichts ändern würde, aber immerhin wären die Spuren beseitigt. Zumindest die in ihrem Gesicht. Luise versuchte sich bei all diesen Ãberlegungen, von denen sie lieber nicht so detailgetreu erfahren hätte, mit der Vorstellung aufzumuntern, dass sie zukünftig jedes Mal, wenn sie ihre tobende Chefin anblickte, auch ein Stück des wütenden GesäÃes vor sich hätte. Und mit diesem Gedanken im Hinterkopf würde sie das alles sicher nicht mehr so ernst nehmen.
»Wann kommt der Messenger mit dem Flyer?«, fragte Frau Berg zum dritten Mal.
»Er müsste jeden Augenblick hier sein«, antwortete Luise, die schon in der Druckerei hatte anrufen müssen, um daran zu erinnern, dass sich das Faltblatt für »Beauté Nouvelle«, die Privatpraxis von Doktor Kahle, tatsächlich pünktlich auf den Weg zu Text-Berg machte.
Der geplante minimal-invasive Eingriff an Stirn und Hüften beruhte nämlich auf einer kleinen Gegenleistung. Hatte Doktor Kahle nicht schon lange einen Werbe-Flyer entwerfen lassen wollen? Seit geraumer Zeit schwebte ihm so etwas vor, nur hatte er bis jetzt noch nicht die richtigen Ansprechpartner dafür gefunden. Mais voilà ! Das Essen schien eine Fügung zu sein, und so hatte man sehr schnell über Kooperationen und
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