Essen mit Freunden - Roman
beruflich im Eventbereich landen würde. Zu aller Ãberraschung hatte sie jedoch an ihrem vierunddreiÃigsten Geburtstag verkündet, es wäre Zeit, ihr Studium zu beenden. Knapp zehn Jahre war das her. Und genauso konsequent, wie Sybille sich in die Partys gestürzt hatte, stürzte sie sich nach ihrem Studienabschluss in die Sozialarbeit. Allerdings nicht, um verirrte Seelen zu retten, sondern um das zu machen, was sie schon immer gut konnte.
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»Alles nur Logistik und Management«, sagte Sybille lachend, als sich Luise und Thorben durch den Pulk von Leuten zu ihr durchgekämpft hatten. »Wenn es weiter so gut läuft, haben wir am Ende des Abends einen neuen Sponsor an der Angel, der unsere Behinderten- WG s mit Computern ausstattet. Und unsere anderen Geldgeber werden begeistert sein, wenn sie morgen ihr Gesicht in der Presse sehen mit einem Lob für ihr soziales Engagement. Um ehrlich zu sein: Ich bin ziemlich stolz, was unsere Gruppen heute Abend auf die Beine gestellt haben.«
»Wirklich beeindruckend«, sagte Thorben und drehte sich zu den fast zwei Meter hohen Leinwänden um, auf die Landschaften mit Acrylfarbe und Kunstschnee gesprüht waren.
»Das ist von der Graffiti-Gruppe aus unserem Jugendzentrum. Die haben seit Beginn des Schuljahres daran gearbeitet. Damit hat eigentlich alles angefangen. Sie hätten natürlich auch die Hausfassade ihres Hinterhofs besprühen können, doch wen interessiert das? Ist für die meisten doch nur irgendeine Schmiererei. Die Jungs müssen als Künstler
gesehen werden; sie müssen aus ihrer Schmuddelecke rauskommen. Deshalb haben sich Tobi und ich vor ein paar Wochen zusammengesetzt und Ideen gesammelt.«
»Tobi?«, fragte Luise, die sich zwar dunkel erinnerte, dass Sybille diesen Namen neulich erwähnt hatte, aber ihr fiel nicht mehr ein, in welchem Zusammenhang.
»Dieser junge Künstler, den wir im Sommer für die Betreuung der Graffiti-Gruppe eingestellt haben. Davon hatte ich doch erzählt, oder? Ein sehr fähiger Kopf.«
»Ein Kopf «, wiederholte Thorben vieldeutig und warf Luise dabei einen Seitenblick zu.
»Ja, ein guter Pädagoge und begnadeter Maler. Er hat auch den Kontakt zur Galerie gemacht. Da habe ich mich eingeklinkt und ein Konzept entworfen, bei dem man die Ausstellung der Graffiti mit unseren anderen Projekten verbinden kann. Et voilà ! Ihr wisst ja: Kunst hat mich schon immer interessiert.«
Thorben und Luise folgten Sybilles Blick, der bei diesen Worten über die Köpfe der Anwesenden hinwegflatterte und bei einer Gruppe von wild gestikulierenden Jugendlichen landete. Mitten unter ihnen stand wie ein Fels in der Brandung ein Mann, groÃ, schlank, Anfang dreiÃig, der Sybilles Augenaufschlag mit einem vertraulichen Zwinkern erwiderte.
»Das ist dann wohl Tobi, der begnadete Künstler?«, fragte Luise, bemüht, sich ein Grinsen zu verkneifen. »Ich kann mir vorstellen, wie sehr du an einer Verbindung mit der Kunst interessiert bist.«
»Und wenn er auch noch gut mit Kindern kann«, übernahm Thorben den Faden, brachte den Satz jedoch nicht zu Ende, weil er sich einen Rippenstoà von Luise einfing.
Sybille überging die Anspielung und manövrierte die beiden zum Büfett. »Das hier verdirbt mir allerdings die Laune.« Angewidert zog sie die Augenbrauen in die Höhe, ihre Lippen bildeten eine messerscharfe Linie. Sie deutete auf eine Ansammlung von vier Nudelsalaten, einem Kartoffelsalat und einer Schüssel Undefinierbarem mit Lauch und Mandarinen, die alle in wässerig weiÃen Saucen versanken. »Es war wohl doch keine gute Idee, das Büfett dem Handarbeitskreis zu überlassen. Mythen aus Schnee und Eis.« Sie schnaufte verächtlich. »Das hat vielleicht beim Eisbären-Häkeln hingehauen, aber das hier sieht so mystisch aus wie die Schiffsküche der Titanic kurz vorm Absaufen.«
»Aber schmecken tut es«, murmelte Thorben, der sich einen Teller geschnappt hatte und begeistert ein Dreierlei an Nudeln probierte.
Sybille ignorierte Thorbens Kommentar und schaute Luise an. »Findest du das gut? Das geht doch besser, oder? Verlange ich zu viel?«
Für einen kurzen Moment sah Luise in Sybilles Augen ein Fünkchen Unsicherheit aufglimmen. Etwas, was nicht allzu oft passierte. Mythen aus Schnee und Eis für ein Büfett umzusetzen fand Luise keine einfache Aufgabe, wenn man sich nicht
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