Essen mit Freunden - Roman
zeichnete Verbindungslinien, strich Gewürze und ersetzte sie durch andere. Entschieden zog sie schlieÃlich einen dicken Strich unter die drei Spalten, schrieb MUT und EHRLICHKEIT darunter, in Druckbuchstaben, legte ihren Stift zur Seite und rieb sich die Augen, vor denen die Buchstaben langsam zu tanzen begannen. Gähnend stand sie auf und goss sich die dritte Tasse Kaffee ein. Sie wusste nicht genau, was sie denken sollte, machen sollte, kochen sollte. Heute wäre der Termin bei Raphael gewesen, doch vor zwei Tagen hatte er angerufen und mit groÃem Bedauern das Essen verschoben. Es sei etwas dazwischengekommen, hatte er gesagt. Ihr oder dir? , hätte sie am liebsten gefragt, doch das wäre wohl zu unprofessionell gewesen. Ob Luise auch eine Woche später Zeit hätte, wollte er wissen. Natürlich hatte sie einen Termin für ihn. Nächsten Freitag. Was sie kochen solle? Raphael hatte keine Idee und lieà ihr freie Hand.
Markus' kleiner Monolog über Essen und Verführung hatte ihr zugegebenermaÃen imponiert. Sein Ernst, seine Absolutheit. Ein wenig zumindest. Für eine kleine Weile. Spätestens jedoch, als Sybille ihr ein paar Tage nach dem Geburtstagspicknick triumphierend mitteilte, dass sie seine Handynummer habe, tat Luise es als schöne Inszenierung ab â das Feuer, die Nacht, seine Verletzlichkeit â und rüttelte innerlich wieder an der Schublade mit der Aufschrift »Spieler«. Etwas Gutes hatte dieses Gespräch am Lagerfeuer dennoch gehabt: Es hatte Luises Ehrgeiz angestachelt. Um zu beweisen, dass es doch auf das Essen ankam, war sie wild entschlossen, ebenfalls ein Spiel zu wagen, indem sie Raphaels Verführung mit all ihren Mitteln und Künsten zu einem grandiosen Erfolg machen wollte. Zu seinem oder zu
ihrem, je nachdem. Wenn er die Frau von sich überzeugen könnte, hätte auch sie mit ihrem Essen gesiegt. Wenn die Angebetete sich jedoch weiter widerspenstig zeigte und es mit den beiden nicht klappte, hingegen aber sie, Luise, es in der Zwischenzeit schaffen sollte, Raphael mit den Gerichten um ihren eigenen Finger zu wickeln, wäre das ein ebenso gutes Ergebnis. Wenn nicht sogar ein besseres. Sie müsste sich also nur noch ein bisschen mehr anstrengen, dann würde schon eines von beidem klappen. Davon war sie überzeugt. Sie umkringelte Chili, Safran, Huhn und Meeresfrüchte auf ihren Listen. Scharf und mild, bittersüÃ, salzig. Sie wollte alles. Den Gaumen kitzeln. Ein Essen wie ein Kuss, mit all seinen Facetten. Ein Feuerwerk auf der Zunge, auf jeder einzelnen Geschmacksknospe. Mit einem letzten Blick auf die Listen schob sie die Zettel zusammen. Sie hatte einen Plan. Und der war nicht nur ausgesprochen schmackhaft, sondern würde auch erfordern, dass sie mindestens zwei Stunden in Raphaels Küche zu tun hätte. Mit ihm an ihrer Seite und mit Zimt im Bratentopf.
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»Irgendwas ist anders hier«, stellte Luise fest, als sie am nächsten Freitag in Raphaels Wohnung stand. Sie blickte sich um. Die Urlaubsbilder im Flur waren verschwunden, ebenso der groÃe Spiegel im Silberrahmen.
»Ja, ich musste einiges umstellen in der letzten Woche«, sagte er. »Darum klappt es auch erst jetzt mit dem Essen.«
»Ein Rohrbruch?«, fragte Luise mit einem Seitenblick ins Bad, das seltsam unbewohnt wirkte.
»So etwas Ãhnliches«, antwortete er vage. »Aber nun ist es überstanden. In der Küche ist alles beim Alten.«
Sie nickte. »Ich komme schon klar.« Die Küche hatte sie
bei ihrem letzten Einsatz sehr spartanisch vorgefunden, und deswegen hatte sie diesmal ihr gesamtes Handwerkszeug dabei. »Kannst du das bitte in den Kühlschrank stellen«, sagte sie und drückte Raphael eine Schüssel in die Hand. »Das ist die Grapefruitmousse zum Nachtisch. Ich hole rasch noch den Rest aus dem Auto.« Sie schenkte ihm eines ihrer nettesten Lächeln und lieà ihn auf dem Flur stehen.
AuÃer der Mousse hatte sie kaum etwas vorbereitet. Bei den rohen Garnelen für die Vorspeise hatte sie zwar schon die Schale bis auf Schwanzflosse und auch den Darm entfernt, weil sie das für eine der weniger dekorativen Arbeiten hielt. AuÃerdem hatte sie die Chilischoten zu Hause entkernt und teilweise zerhackt, da ihr die Aussicht auf Küchenarbeit mit Gummihandschuhen zu medizinisch erschien. Alles andere wollte sie vor Ort erledigen.
»Soll ich dir helfen?«, rief er
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