Essen mit Freunden - Roman
von oben, als sie schwer bepackt die Treppen heraufkam.
»Wäre schon schön«, schnaufte sie und fragte sich, ob Markus seine Liste der emotionalen Ingredienzen einer kulinarischen Verführung vielleicht noch um Aufmerksamkeit erweitern müsste. Doch warum sollte sie hadern? Sie war ja nur die Köchin und nicht der Gast.
Er stürmte ihr entgegen, entwand eine der Kisten so ungeschickt ihrem Griff, dass es schepperte und sie schon befürchtete, die Gläser mit der Geflügelbrühe, dem Gemüsefond und die Flasche Marsala seien zu Bruch gegangen. Sein entsetztes Gesicht machte aber jede Aufregung wett. Sie flüchtete sich in ein erleichtertes Lachen, und gemeinsam brachten sie die gesamten Schätze in die Küche. Sie fand ihn hinreiÃend, wenn er unsicher wurde. Was eigentlich die meiste Zeit der Fall war.
»Brauchst du noch etwas?« Er sah sie an mit diesem Blick, an dem sie schon bei Svenjas Essen hängengeblieben war.
»Vielleicht ein bisschen Gesellschaft. Erzähl mir doch, was genau das letzte Mal passiert ist.«
Also blieb er in der Küche, lehnte am Türrahmen, beobachtete jeden ihrer Handgriffe, ihre Bewegungen, ihre Reaktionen. Dabei erzählte er, in kleinen Etappen, mit vielen Pausen. Aufmerksam hörte sie zu, während sie die Hühnerteile und die geviertelten Zwiebeln in den Bräter legte, dazu die Chilis, Zimtstangen, frische Lorbeerblätter, geschälte Mandelkerne und schwarze Oliven. Als sie dann eine Orange mit dem Sparschäler bearbeitete, auspresste, den Saft mit Honig, Marsala und der Geflügelbrühe vermischte, verbreitete sich in der Küche ein Duft von Süden und Leichtigkeit, doch auch das konnte Raphaels stockende Erzählung nicht beflügeln. Viel hatte Luise trotz interessierter und ermunternder Zwischenfragen nicht erfahren. Ob es seiner Herzensdame denn geschmeckt habe, wollte sie wissen. Ja, irgendwie schon. Ob sie eher Fisch mögen würde, Fleisch oder Geflügel? Fisch nicht so. Und über Geflügel hätten sie nicht gesprochen. Ob sie viel von sich erzählt habe? Ein wenig. Sein Gast schien eine Frau zu sein, die eher Fragen stellte als Antworten gab. Ob er wenigstens Andeutungen von seinen Gefühlen gemacht habe? Das irgendwie nicht so direkt. Ob sie nach dem Essen noch etwas länger geblieben sei? Nein, aber vermutlich habe das an irgendwelchen Terminen mit ihrer Arbeit gelegen. Ob denn ⦠An dieser Stelle klingelte das Handy.
»Oje, entschuldige bitte«, sagte er mit Blick auf das Display und verschwand auf den Balkon.
Luise schnappte nur Fetzen auf. Irgendeine Becky schien
sich in langen Tiraden zu beschweren. Es folgten Entschuldigungen von Raphael, Besänftigungen, Ansätze von Erklärungen, die am anderen Ende postwendend abgeschmettert wurden. Dann war Ruhe. Luise goss die Flüssigkeit ans Huhn, verteilte die Orangenschale darüber und schob den Bräter in den Backofen.
»Schlimm?«, fragte sie, als sie sich zu ihm auf den Balkon stellte.
»Geht schon.« Er schaute in die Ferne, obwohl es dort wenig zu sehen gab. Blätter, Bäume, sonst nichts. »Meine Ex«, ergänzte er schlieÃlich.
Luise überlegte, was sie mit dieser Information anfangen sollte, denn Exen hatte ab einem gewissen Alter eigentlich jeder. Nur meldeten sich Exen meist entweder gar nicht mehr, oder sie meldeten sich freundschaftlich, nachdem sie sich lange genug gar nicht mehr gemeldet hatten. »Seid ihr schon lange getrennt?«, fragte sie. Aus purem Interesse am Kunden.
»Eigentlich schon. Sie zerrt aber immer noch an mir herum. Dabei wollte sie seit langem Distanz. Trotzdem kommen dauernd Vorwürfe und Anschuldigungen.« Er sah Luise an. Wieder dieser Blick. Ein Flackern, ein Leuchten im dunklen Kaffeebraun. »Ich glaube, ich brauche was zu trinken. Du auch?«
»Warum nicht?«, befand sie und folgte ihm in die Küche.
Er nahm den gekühlten Champagner, den sie ihm als Aperitif für seinen Gast empfohlen hatte, und öffnete die Flasche.
»Glaubst du, dass das eine gute Idee ist?«, fragte sie, konnte sich eine heimliche Freude jedoch nicht verkneifen.
»Sie muss ja nicht sehen, dass die Flasche schon offen ist.
Ich kann nachher auch hier eingieÃen und mit den gefüllten Gläsern ins Wohnzimmer gehen.« Er versuchte ein Lächeln. Es misslang.
»Also gut. Auf euch.« Sie hob ihr Glas.
»Auf dich«, sagte er.
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