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Essen mit Freunden - Roman

Essen mit Freunden - Roman

Titel: Essen mit Freunden - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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auf dem Balkon, die Stadt verschwände hinter den Bäumen, und das Flackern des Feuers gäbe ihnen das Gefühl, beschützt in einer geheimen Höhle zu sein, sicher vor der Welt da draußen. Der Schein der Kerzen würde ihre Gesichtszüge sanft nachzeichnen und der Wind zart über ihren Nacken streichen, um mit einer der Locken zu spielen, die sich aus ihren hochgesteckten Haaren gelöst hätte. Sie trüge das dünne Kleid aus Chiffon, das mit den Malvenblüten, das ihre Figur so gut umschmeichelte, und beim Dessert – weißes Schokoladeneis mit rotem Pfeffer und Rosenblütensirup – bekäme sie eine leichte Gänsehaut. Raphael würde fragen, ob er ihr eine Strickjacke holen solle, und sie würde ja sagen, denn in ihrer Fantasie war es nicht kratzige Wolle, die er ihr anbot, nein, es war dünnes Cashmere, rauchblau. Der Strickstoff wäre weich und würde wunderbar riechen, nach Hölzern und Zitrone und ein bisschen nach Meer. Und wenn er ihr dann die Jacke um die Schultern legte, würde er zart und wie zufällig mit sei
nen Fingerspitzen ihren Hals streifen, und sie würde hingebungsvoll ihren Kopf zur Seite neigen, seiner vermeintlich unbeabsichtigten Berührung folgend, aus der so endlich eine absichtliche Berührung werden könnte, die auch nicht die einzige Berührung bleiben sollte. Diese Berührung, die aus jenem Abend dann den Abend machen würde, nach dem sie sich schon so lange gesehnt hatte.
    Feuer.
    Grillen fand sie zu profan. Zu viel Fleisch, zu viel Neandertal. Wok hingegen wäre nicht schlecht. Sie wusste auch, wer über einen passenden Grill mit Wok-Einsatz verfügte.
    Â»Natürlich«, hatte Ole gesagt, als sie ihn anrief und fragte, ob sie sich den Grill ausleihen dürfte. »Du kannst ihn ja am Dienstag mitnehmen, wenn du beim Kita-Fest bist. Du hattest doch zugesagt, dass du kommst. Lilly freut sich schon.«
    Sie hatte geschluckt und »Super, danke, das passt ja gut!« gemurmelt und »Natürlich komme ich«, in der Hoffnung, dass ihre Antwort nicht zu stockend kam, denn Lillys Kindergartenabschied hatte sie über den feurigen Gedanken an ihr nächstes Dîner à deux völlig vergessen.
    Â 
    Peter und der Wolf. Luise erinnerte sich dunkel an ihren Musikunterricht in der neunten Klasse und an die Langeweile, die sich jedes Mal ausbreitete, wenn Herr Bernwardt mit monotoner Stimme über Koloraturen und Terzen dozierte. Musik sei Leidenschaft, hatte er immer gesagt, um gleich darauf die Leidenschaft mit Violinschlüsseln zu erdrosseln. Die kleinen schwarzen Punkte, die sich nach den Schlüsseln auf die Notenlinien der ausgeteilten Blätter ergossen, hatten auf Luise wie Schrotkugeln gewirkt, mit denen Herr Bernwardt auf das musikalische Interesse der restlichen Überlebenden
zielte. Nach und nach hatte die ganze Klasse die Ohren auf Durchzug gestellt. Aus purer Notwehr. Daher waren an Luise nicht nur Mussorgsky und Orff vorbeigerauscht, sondern auch Prokofjew.
    Und nun saß sie hier, Jahre später, in Lillys Kita, zwischen aufgeregten Kindern, nervösen Erzieherinnen und gespannten Familien, um ihre Lektion in Peter und der Wolf nachzuholen. Vor den Fenstern räkelte sich ein lauer Mittsommertag, drinnen waren es gefühlte fünfundvierzig Grad, die durch das Lampenfieber der Fast-schon-Schulkinder, die ihrem Auftritt entgegenglühten, noch aufgeheizt wurden.
    Â»Open-Air-Bühne wäre nicht schlecht«, raunte Markus. »Eigentlich spielt das Stück ja im Grünen.«
    Â»Mhm«, murmelte sie abweisend, denn sie wollte keine Nachhilfestunde in Musik. Sie überlegte, wie sie Abstand zwischen sich und Markus schaffen konnte, aber da ertönten schon die ersten Takte, und der improvisierte Vorhang hob sich. Applaus brandete auf, und das Stück begann. Keine Chance zur Flucht. Als die Oboe erklang, watschelte Lilly als perfekte Ente auf die Bühne. Das hatte sie seit Luises Geburtstag geübt. Watscheln wie eine Ente, sitzen wie eine Ente, schnattern wie eine Ente. Zu Bett gehen wie eine Ente und am nächsten Morgen wieder aufstehen wie eine Ente. Luise bewunderte Judith und Ole für ihre Geduld. Die beiden klatschten begeistert, und Nele rief: »Da ist meine Lilly!« Luises Hals wurde eng, sie musste schlucken. Um sie herum gerührte Omas, Geschwisterkinder mit großen Augen, Mütter, die mitfieberten, Väter, die vor Stolz

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