Essen mit Freunden - Roman
Stiefmütterchen, Kapuzinerkresse, Kornblumen, Hibiskus und Hornveilchen anzulegen. Vielleicht noch ein paar Königskerzen dazu. Die Pflanzen sollten dann in Holzkästen umgesiedelt werden, so dass Luise sie bei Bedarf abholen und kleine Vorräte bei sich auf dem Balkon lagern könnte. AuÃerdem dürfte sie sich gern an den Duftrosen bedienen, die er seit dem Tod seiner Frau hegte und pflegte. WeiÃe und zartrosafarbene mit dicken, gefüllten Blüten. Eine alte englische Sorte. Luise war gerührt, denn zum ersten Mal wurde ihr bei diesem Besuch klar, dass auch Paul, genau wie ihre Mutter, eine Geschichte von Tod und Trauer in sich trug. Die Geschichte einer verlorenen Liebe, deren botanisches Erbe er jedes Frühjahr düngte, deren Blütenpracht er im Sommer mit Wehmut betrachtete, deren Zweige er jeden Herbst beschnitt und deren Wurzeln er winterfest machte. Vielleicht, so dachte Luise, hat ein Herz deswegen mehrere Kammern. Damit die Liebe nicht aufhören muss, wenn das Leben weitergeht. Wenn man verloren hat, auf die eine oder andere Art. So kann das Gute einer vergangenen Liebe bleiben, wenn einem das Leben etwas anderes geben will. Er hatte ihr zum Abschied einen Rosenstrauà geschenkt, und jedes Mal, wenn sie an ihrem Küchentisch gesessen hatte,
auf die rosa Blüten blickte, den Duft einsog, hatte sie etwas mehr von der Liebe ihrer Mutter begriffen. Paul nahm nichts weg. Weder ihrer Mutter noch ihr selbst, und auch die Erinnerung an ihren Vater schmälerte er nicht. Vielmehr fügte er etwas hinzu. Einen fehlenden Duft, eine neue Farbe. Lebendigkeit.
Luise lieà sich durch ein paar Sommertage im Garten treiben. Sie hatte ihr Handy ausgeschaltet, weil sie keine weiteren SMS mit Entschuldigungen von Raphael lesen wollte. Morgens schlief sie aus, nachmittags döste sie im Liegestuhl unter den Bäumen. Sie vergaà die Zeit für eine Weile und aà mehr warmen Rhabarberkuchen mit Baiser, als ihr Hosenknopf aushielt. Abends schaute sie mit ihrer Mutter in den Sommersternenhimmel. Sie sprachen über die Zukunft und über Gegenwärtiges, über den Tod, über Luises Vater, über Erinnerungen, Kompromisse und Träume. Dinge, die sie sich nie gesagt hatten. Und als sie kurz vor Luises Rückfahrt noch einmal auf der Terrasse saÃen, sagte ihre Mutter unvermittelt: »Es ist schön, dass bei unseren Gesprächen kein einziges Mal das Wort Seniorenheim gefallen ist.«
Einen kleinen Moment lang schämte sich Luise, denn ihr war längst klar, dass die vermeintliche Gebrechlichkeit ihrer Mutter mehr mit ihren eigenen Ãngsten als mit der Realität zu tun gehabt hatte.
»Aber weiÃt du, was am allerschönsten ist?« Hedda Blum begann zu schmunzeln.
Luise sah ihre Mutter erwartungsvoll an.
»Wenn du endlich aufhörst, mich bemuttern zu wollen, kann ich wieder anfangen, dir eine Mutter zu sein. So lange es geht. Und so sollte es doch sein, oder?«
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»Ja, natürlich komme ich ⦠Nein, keine Ausreden ⦠Ja, ich werde mich entsprechend anziehen. Du weiÃt ja, ich horte alles.« Sie legte den Hörer auf und ging ins Badezimmer.
Warum tat sie sich das Ganze überhaupt an?
Weil Thorben ihr bester Freund war!
Warum konnte sie nicht einfach absagen und später etwas Schönes mit ihm unternehmen?
Weil er gesagt hatte: »Das würde ich dir nie verzeihen!«
Luise stand unter der Dusche und lieà heiÃes Wasser über ihren Nacken, die Schultern, den Rücken laufen. Sie entspannte sich, endlich. Seit anderthalb Wochen war sie wieder hier. Sieben Aufträge, fünf davon bis in den späten Abend, hatten Spuren hinterlassen. Wie schön wäre es, sich nach dem Abtrocknen einfach in eine Decke zu wickeln und den Rest des Abends vor dem Fernseher herumzugammeln. Aber Thorben hatte gesagt: »Ich werde nur einmal achtundvierzig.« Dabei hatte er die Arme quietschend wie ein Teenie in die Höhe geworfen und gestrahlt. Achtzigerjahre-Party. Hatte er nicht vor Weihnachten behauptet, dass die Achtziger sein Leben waren? Da konnte sie nicht nein sagen! Also sei ihm das nun gegönnt. AuÃerdem war diese brünette Schönheit, die seine Nostalgie mit dem ungemein klugen Ausruf »Future, Thorben, Future!« maÃregeln wollte, auch nicht mehr die Seine. Es konnte vielleicht doch ein schöner Abend werden, ohne schmalhüftige Topmodel-Epigoninnen, die gerade aus der Pubertät
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