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Essen mit Freunden - Roman

Essen mit Freunden - Roman

Titel: Essen mit Freunden - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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da sein. Aber Frauen kommen ja meist zu spät. Vor allem, wenn sie einen guten Auftritt wollen. Denk bloß an Sybille.«
    Â»Einige kommen immer zu spät«, stimmte Anne ihr zu und griff in die knisternde Tüte, die Luise ihr hinhielt. »Andere kommen nie.« Sie ließ den Hauseingang nicht aus den Augen.
    Â»Was meinst du damit?«
    Â»Weißt du, ich frage mich die ganze Zeit, was der Haken an der Sache ist. Du sagst, Raphael ist weder dumm, hässlich noch langweilig. Er hat einen guten Job, ist höflich, charmant und offen für eine Bindung. Außerdem lädt er die Frau, die er will, dreimal ein, obwohl er scheinbar keinen Schritt bei ihr vorankommt. Warum aber kriegt er es nicht hin? Mit einem Menü von dir hätte es sogar Thorben geschafft, seine Traumfrau für sich zu gewinnen. Irgendwas stimmt also nicht an der Sache.«
    Â»Und was ist deiner Meinung nach der Punkt?«
    Â»Es gibt drei Möglichkeiten«, fuhr Anne nach einer kurzen Pause fort. »Die erste: Die Frau ist absolut perfekt, womit sich Raphaels Engagement erklären lässt. Allerdings ist sie Mitglied in einem religiösen Geheimorden, der sich dem Zölibat verschrieben hat.«
    Luise verdrehte die Augen.
    Â»Oder Raphael ist ein Psychopath, der dem Gourmet-Fetischismus frönt und dich, wenn du dich weigerst, weiter für ihn zu kochen, verfolgt und mit dem Sushimesser bedroht.«
    Luise stöhnte entnervt auf. »Das ist doch nicht dein Ernst. Wenn du nichts Besseres zu bieten hast, steige ich jetzt wirklich aus.«
    Â»Ich mache mir Sorgen, Luise. Und als ich dich gestern
Nacht – zugegeben nach einem Krimi – im Geiste in dieser Wohnung da oben bedroht sah, habe ich vorhin mit Natascha beratschlagt, wie man herausbekommen könnte, was es mit ihm und dieser Frau auf sich hat. Praktisch wie Natascha nun mal ist, hat sie mir ihren Autoschlüssel in die Hand gedrückt und gemeint, ich solle hinfahren und nachschauen. Darum bin ich hier.«
    Luise schwieg. Einerseits war sie verärgert über diese Aktion, andererseits fand sie es rührend, dass Anne sich so um sie sorgte. Sie überlegte kurz. »Du hattest von drei Möglichkeiten geredet. Was ist die dritte?«
    Â»Was, wenn alles nur Theater ist?«
    Â»Theater?« Luise sah sie verdutzt an.
    Â»Das ist die dritte Möglichkeit: Dass es diese Frau gar nicht gibt. Dass er dir alles nur vorspielt, aus welchen Gründen auch immer.«
    Â»Theater, niemals!«, sagte Luise, doch dann verstummte sie. Raphael war auf dem Balkon aufgetaucht. In einem alten, schlabberigen T-Shirt und mit Bermudashorts. Kein dunkelgraues Oberhemd mehr, keine schwarze Jeans. Er blies einen Teil der Windlichter aus, räumte das Geschirr ab, legte fein säuberlich die Tischdecke zusammen. Auch die Salatschüssel und die kleinen Schälchen mit dem Fleisch und dem Gemüse brachte er hinein. Nach einer Weile kam er mit zwei Desserttellern zurück und setzte sich, Blick in die Bäume, die Beine lässig auf den zweiten Stuhl gelegt, und begann zu essen. Allein. »Weißes Schokoladeneis mit rotem Pfeffer«, murmelte Luise, »der Nachtisch.« Sie hatte ihre Hand auf den Mund gelegt. Verständnislos, entsetzt. »Es gibt sicher eine Erklärung dafür. Vielleicht hat sie abgesagt. Vielleicht ist sie krank. Vielleicht hat sie es einfach nur vergessen.«
    Â»Vielleicht hast du recht«, sagte Anne und blickte ebenfalls hoch zum Balkon. »Interessant ist allerdings nicht, was sie gesagt hat. Falls sie denn etwas sagen kann. Interessant ist, was er dir demnächst über diesen Abend erzählt.«
    Luise schwieg.
    Â»Reicht das? Wollen wir nun nach Hause?«
    Luise schwieg weiterhin, kopfschüttelnd.
    Â»Willst du etwa hierbleiben? Hoffst du immer noch, dass sie auftaucht?« Anne musterte ihre Freundin. »Oder wünschst du dir vielleicht genau das Gegenteil?« Ihre Stimme klang besorgt.
    Wieder schüttelte Luise den Kopf. Dann sagte sie sehr langsam und mit Bedacht: »Ich will nicht wissen, was er mir demnächst über diesen Abend erzählt. Ich will es heute wissen.«
    Â»Bitte? Was heißt das denn?« Anne sah sie irritiert an.
    Â»Das heißt, du musst jetzt mit mir etwas trinken gehen, damit ich in anderthalb Stunden so mutig bin, dass ich ihn frage. Auge in Auge.«
    Anne nickte, dann entschieden sich ihre Mundwinkel langsam für ein Lächeln.

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