Essen mit Freunden - Roman
Kochkursen. Die Bemerkungen über Mut und Ehrlichkeit. Ihre Mutter hatte an einem der Abende auf der Terrasse erzählt, dass sie und Paul sehr berührt von Markus' Sätzen am Feuer gewesen seien, weil es mit wachsender Erfahrung tatsächlich nicht einfacher werde, seine Gefühle zu zeigen. Dass man es aber trotzdem tun müsse, um glücklich zu sein. Wenn sie nicht eines Tages all ihren Mut zusammengenommen und Paul im wahrsten Sinne des Wortes zum Tanzen aufgefordert hätte, wäre ihr Leben nun wesentlich trister. Als ihre Mutter das sagte, hatte Luises Herz gepocht, die ganze Zeit, und sie hatte Markus vor sich gesehen. Am Feuer, mit dem Blick in die Flammen. Seine konzentrierte Miene, als er die Schokoladenscholle auf die Götterspeisegletscher setzte. Seine Hand, die sanft über ihre Arbeitsplatte strich und den Nussbaum erkannte. Seine Augen, die sich für einen kurzen Moment schlossen, als er in Luises Cantuccini biss, und sein zufriedenes Lächeln, mit dem er sich den Milchschaum von den Lippen leckte. Sein Gesicht, das sich in eine weite, schöne Landschaft verwandelte, wenn er lachte. Sein Gesicht, das so verletzt und getroffen wirkte, als sie an ihrem Auto standen, an jenem Nachmittag, bevor er ging. Schau mich an! Das war dann meist die Stelle in der Gedankenkette, an der Luise diese immer wiederkehrenden Bilder stoppte, indem sie einen Kaffee kochte, die Blumen goss, das Unkraut aus den Balkonkästen zog, Rechnungen schrieb, Quittungen für die Steuer abheftete. Raphaels Mails beantwortete. Das Bad putzte.
Ihre Kochbücher thematisch sortierte. Neue Zettel auf ihre Gewürzgläser klebte. Noch einen Kaffee kochte. Sich wieder auf den Balkon setzte. Ãber Kochkurse nachdachte. Und über Mut und Ehrlichkeit.
Â
Sybille rief an. Es war ein Dienstag Ende Juli. Ob Luise Zeit habe? Am besten noch am selben Abend. Sie müsse reden. Mit allen dreien. Es sei dringend. Ob sie sich bei ihr, Luise, treffen könnten? Anne wisse schon Bescheid. Nein, sie könne noch nicht genau sagen, warum. Sie müsse erst den Arzttermin abwarten. Der wäre um fünf. Sie hoffe, dass sie gegen halb sieben da wäre. Wenn es länger dauerte, melde sie sich noch einmal. Alles Weitere dann später.
Natürlich hatte Luise Zeit, natürlich ging es bei ihr am Küchentisch. Und natürlich hatte sie ab da ein ungutes Gefühl im Bauch.
Â
»Und sie hat auch dir nicht gesagt, was los ist?«, fragte Anne, als sie auf dem Balkon saÃen und auf Thorben und Sybille warteten.
»Nein, hat sie nicht.«
»Keine Andeutung?«
»Nein, gar keine. Sie hat nur von einem Arzttermin gesprochen. Ziemlich tonlos. Und seitdem ist mir schlecht.«
Anne nickte. »Hast du Thorben erreicht?«
»Ich habe es versucht, aber er geht nicht ans Telefon. Ich denke, dass sie ihm Bescheid gesagt hat.«
Anne nickte wieder.
Luises Handy lag auf dem Tisch und vibrierte. Sie zuckte zusammen und nahm das Gespräch an, ohne auf das Display zu schauen. »Ja, was ist?« Sie runzelte die Stirn. »Entschuldi
gung, ich hatte ein Privatgespräch erwartet. Natürlich ist hier Essen mit Freunden , Luise Blum.« Dann entgleiste ihr Gesicht vollends. Zögernd sagte sie: »Natürlich erinnere ich mich.« Und: »Das Ganze tat mir damals wirklich sehr leid.« Nach einer Weile konzentrierten Zuhörens, das nur unterbrochen wurde von Mhms und Ahas â und von Annes fragenden Blicken, die jedoch mit keiner Geste und keinem noch so kleinen Hinweis beantwortet wurden, sagte Luise: »Ja, Doktor Kahle, das kann ich mir gut vorstellen. Ich habe auch schon ein paar vage Ideen im Kopf. Ich sage gern zu, muss mir aber erst noch einige Gedanken machen. Wie wäre es, wenn wir uns Ende der Woche zusammensetzen, um Einzelheiten zu klären? ⦠In Ihrer Praxis? Gern ⦠Ja, natürlich weià ich es noch: BatonstraÃe 3-5.« Am anderen Ende war ein Lachen zu vernehmen, dem anscheinend einige freundliche Abschiedsfloskeln folgten. »Ja, Doktor Kahle«, sagte Luise daraufhin, »ich freue mich auch. Dann bis Freitag um siebzehn Uhr.« Sie legte das Telefon auf den Tisch zurück und wippte auf ihrem Stuhl hin und her.
»Mach's doch nicht so spannend«, sagte Anne. »Wer war dran? Aufregung gibt es heute schon genug.«
»Doktor Kahle.« Luise genoss sichtlich, dass ihre Antwort Annes Neugier nur noch mehr anstachelte.
»Das
Weitere Kostenlose Bücher