Essen statt stressen
immer mehr Dauerläufer behandelten, die trotz Schmerzen und Verletzungen weitertrainieren wollten. Die Ärzte stellten fest, dass der Körper auch beim Laufen (übrigens auch beim Fasten!) die körpereigenen Drogen ausschüttet. Und Marathonläufer berichten nur zu gerne und voller Stolz vom Gefühl, nach 10 oder 15 Kilometern Strecke oder einer Stunde intensiver Belastung regelrecht »high« zu sein.
Durch das Zusammenspiel der verschiedensten Hormone – Insulin und Cortisol bei einer typischen Stressreaktion und die Belohnungsreaktion über Dopamin, Oxytocin und Serotonin – werden bei der Esssucht die gleichen Hirnareale befeuert wie bei
anderen Abhängigkeiten. Populärwissenschaftlich gesagt sind die gleichen Substanzen im Körper unterwegs wie bei den klassischen Süchten. Die Partydroge Ecstasy beispielsweise stimuliert die Ausschüttung von Serotonin. Immer ist das Belohnungszentrum im Mittelpunkt aller Suchtaktivitäten und arbeitet intensiv mit dem Hirnareal zusammen, das für die Sättigung am wichtigsten ist, dem Hypothalamus.
Wie bedeutsam diese Hirnregionen für Hunger, Appetit, Sättigung und Wohlgefühl sind, stellten Ärzte bei Tieren und menschlichen Patienten fest, die nach Verletzungen an diesen Hirnarealen auffällig weniger tranken und aßen. Auch Pharmakonzerne interessieren sich seit einiger Zeit für die Hormone Serotonin, Ghrelin, Galanin, Leptin und die vielen anderen Stoffe, die Hunger und Appetit stimulieren oder unterbinden können. Manchmal ist Hormonmangel auch der Grund für chronisches, krankhaftes Übergewicht. So berichten Ernährungsforscher von zwei deutschen Mädchen, die im Alter von neun Jahren 90 Kilogramm wogen und einen unstillbaren Appetit hatten. Erst eine hormonelle Untersuchung brachte das Ergebnis: Beide wiesen einen markanten Mangel an Leptin auf – ein Hormon, das im Fettgewebe produziert wird und den Hunger bremst.
Wie stark die Emotionen im Gehirn mit dem Essen verbunden sind, hängt auch von unseren Kindheitserfahrungen ab. Seit jeher liefert die warme Milch aus der Brust der Mutter das maximale Glücksgefühl für den Säugling. Dann nutzen Eltern das Essen für die Erziehung – mal als Belohnung, mal als Druckmittel. Zuwendung, Zärtlichkeit, Lob und Bestätigung werden schon mit den ersten Gläschen Babybrei vermittelt. Die meisten Menschen werden schon früh auf Zucker-Fett-Drogen programmiert und aus einem Bonbon oder Keks wird regelrechtes Psychofutter. Das Belohnungszentrum
im Gehirn funktioniert dann ganz einfach. Das Magazin Stern brachte das Dilemma emotionaler Esser in einer Überschrift auf den Punkt: »Schlecht drauf – essen – gut drauf«.
»Wer schon als Kind Süßigkeiten zum Beispiel als Betthupferl 1 bekommen hat«, so schreibt der Göttinger Neurobiologe Gerald Hüther in einem Fachaufsatz, mache die Erfahrung, »dass Süßigkeiten irgendwie helfen, mit Problemen fertigzuwerden.« Wer nicht so sehr auf Süßes getrimmt wurde, hat vielleicht an einer Butterbreze oder Salami geknabbert, um wieder auf bessere Gedanken zu kommen oder einfach den Ärger zu vergessen. Kein Wunder, dass auch gestandene Jobkoryphäen dann ein Leben lang zu Bonbons, Butterbreze oder Würstchen greifen, wenn’s mal nicht so läuft. Dabei spielt sich folgende Reaktion im Körper ab:
Die Kohlenhydrate in Bonbon oder Breze führen zur Ausschüttung von Insulin.
Das Insulin lässt die relative Konzentration von Tryptophan ansteigen.
Tryptophan ist ein rarer, wunderbarer Stoff für den Körper: Als einer der wenigen kann er die Blut-Hirn-Schranke überwinden und zeigt dem Gehirn an, dass der restliche Körper gerade gut mit Energie versorgt wird.
Das Tryptophan regt dann die Produktion von Serotonin an, dem bekannten Wohlfühlhormon.
Das Fett der Butterbreze oder Salami bringt noch einen zusätzlichen »Schwapp an Harmonie«, wie Hirnforscher Gerald Hüther schreibt.
Man kann sich gut vorstellen, dass diese Essstrategie in frühester Kindheit angelegt wird, später wird sie Teil der angenehmsten Kindheitserfahrungen. Sogar Kindergartenerzieherinnen greifen in die Keksdose, und Eltern halten Leckerlis bei Ausflügen bereit, um etwaige Nervanfälle der Kinder schnellstmöglich zu therapieren. Süßigkeiten gelten in diesen Fällen fatalerweise als bewährte Methode.
Dabei ist die Kombination von Fett und Zucker die sicherste Anti-Stress-Therapie, was die Beliebtheit von Schokolade als Glückshormonauslöser erklärt! Aber keine Schokolade der Welt hilft bei der
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