Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Esswood House

Esswood House

Titel: Esswood House Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Straub
Vom Netzwerk:
Kindern eine geringe Menge Rotwein zum Abendessen zu kredenzen. Wohlerzogene Kinder aus Duxbury, Massachusetts, gaben sich nicht der Trunksucht hin! Doch Nahrung und Wein und Bettruhe zum Trotz schienen die Kinder R. und M. vor den Augen der Gäste dahinzusiechen. Die Schwester mehr als ihr Bruder: Er konnte noch immer fast wie ein normales Kind aussehen, aber sie wurde von Tag zu Tag schwächer. Er war blaß; sie wirkte aschfahl, fast totenbleich. Zuzeiten wirkte die Haut des Kindes feucht und seltsam starr, pockennarbig oder geschwollen, und so weiß, daß sie fast durchscheinend aussah - als wäre sie dabei, sich in ein ganz und gar anderes Wesen zu verwandeln.
    Doch ungeachtet ihrer schweren Krankheit kamen die Kinder allen, denen sie begegneten, sogar der Frau aus Massachusetts, die sich nie viel aus Kindern gemacht hatte, wie liebenswerte, fast edle kleine Wesen vor, die in ungewöhnlich reichem Maße mit Liebe, Mitgefühl und Intelligenz gesegnet worden waren. Der jungen Dichterin aus Massachusetts schienen die Kinder von sich aus spiritueller als alle anderen zu sein, die sie je kennengelernt hatte, und von einer gänzlich unkindlichen Spiritualität erfüllt. Das soll heißen, der jungen Frau kam es so vor, als könne man die Musik des Landes am deutlichsten in den Kindern hören.
    Und dasselbe galt auch für die anderen Kinder, die die Verwandlung durchgemacht hatten und gestorben waren. Das Land wurde von Kindern heimgesucht, dachte die junge Frau, und eine der Funktionen von Gästen wie ihr waren das Leben und die Seele, die sie brachten. Sie waren Gegengewichte zum Kummer: Sie gaben dem Land Leben zurück.
    Ist man erst auserwählt , hatte Isobel geschrieben, so kann man sich ihm ebenso wenig entziehen, wie man sich den Körperfunktionen entziehen kann. Denn auch dies ist eine Körperfunktion.

    Standish schaute auf und sah, daß das Licht in der Bibliothek strahlend und golden geworden war. Laut seiner Uhr war es dreizehn Uhr dreißig. Er kam eine halbe Stunde zu spät zum Mittagessen.
    Er stand benommen auf.
    Er wußte, er hatte noch nicht einmal ansatzweise verarbeitet, was er gelesen hatte. Um es zu verarbeiten, dachte er, mußte er verstehen, was Isobel geschrieben hatte, und er mußte es noch besser verstehen, als Isobel selbst es verstanden hatte. Dieses Maß an Verstehen kam ihm ganz entscheidend vor. Standish hatte die Musik auch gehört und hatte dieselbe Euphorie wie Isobel gespürt, als er das Land zum erstenmal bei Tageslicht betreten hatte. Die Worte zeitlos, Ewigkeit, Abkommen, Fröhlichkeit, Kinder, Krankheit, Verwandlung wirbelten in Standishs Kopf durcheinander. Gespenst, Gelächter, körperloser Geist.
    Wein , dachte er. Dann drängte sich ein Gedanke des Vormittags mit Macht in den Vordergrund und er ging mit schmerzenden Beinen zu der großen Tür. Als er sie aufmachte, sah er einen Zündschlüssel auf dem Teppich liegen.

    Nach dem Mittagessen öffnete er, berauscht von Kalbslende und Wein, die große Eingangstür von Esswood und inhalierte die würzige, duftende englische Sommerluft. An seinem ersten Abend hatte Standish fast prophetisch nach Spielsachen oder Fahrrädern vor dem Haus Ausschau gehalten, und jetzt, wo er wußte, warum er keine gesehen hatte, stellte er sich zwei Kinder vor, R. und M., die beiden Kleinen, die auf den Marmorstufen saßen und sich an die weißen Säulen lehnten. Dann sah er das Auto in der Einfahrt und stöhnte. Es war ein heimeliger Ford Escort mit türkisfarbener Lackierung.
    Standish flog die Stufen hinunter und stellte fest, daß das Auto wesentlich sauberer aussah als das, mit dem er von Gatwick nach Lincolnshire gefahren war. Er war sicher, daß es sich um ein anderes Fahrzeug handeln mußte. Als er die Einfahrt erreichte, ging er langsam hin und strich über die warme, glatte, gut gewachste Haube. Es war ein anderes Auto. Es glänzte und funkelte, wie alles, das in das Land gebracht worden war.
    Standish setzte sich hinter das Lenkrad und steckte den Zündschlüssel ins Schloß.
    Es kostete ihn fast eine Stunde, die hiesige Kirche zu finden. Als Standish sich schließlich zwang, anzuhalten und nach dem Weg zu fragen, stellte er fest, daß er den abgehackten, langsamen Akzent der Gegend kaum verstehen konnte. Als Standish versuchte, den Sinn der zahlreichen Anweisungen links und rechts zu verstehen, die ihm zwei abweisende Männer vor einem Pub widerwillig gegeben hatten, gelangte er zur High Street von Esswood, wo Teenager sein Auto anstarrten

Weitere Kostenlose Bücher