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Esswood House

Esswood House

Titel: Esswood House Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Straub
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Ich bin nur neugierig.«
    Er wandte sich von dem Vikar ab und widmete sich wieder den Grabsteinen. Kapitän Thomas Hopewell, 1870-1898. Ein Engel beugte sich weinend über ein aufgeschlagenes Buch. Eine Frau aus Marmor schrak mit vor das Gesicht geschlagenen Händen vor Kummer oder dem Tod zurück - er kannte diese Haltung von einer Statue in Esswood. Hinter sich hörte er mit plötzlich geschärften Sinnen die Verdrossenheit des Vikars. Er erwartete, daß der Mann hinter ihm hergestapft kam, und dann ging ihm auf, daß sich der Vikar wie ein Mann mit einem Geheimnis benahm.
    Die leisen, schweren Schritte erklangen hinter ihm. »Hiesige Familie, ja? Dürfte ich fragen, welche hiesige Familie?«
    »Natürlich.« Standish blieb stehen, drehte sich um und sah dem Vikar in das straffe rote Gesicht. Hinter ihm konnte er einen Blick auf die Marmorfigur über dem Grab eines Kindes erhaschen - ein kleiner Junge, der sich mit ausgebreiteten Armen streckte. »Die Seneschals.«
    Der Vikar leckte sich tatsächlich die Lippen. Sein ganzes Benehmen veränderte sich binnen eines Augenblicks, genau wie die Atmosphäre zwischen ihm und Standish. »Das ist wirklich sehr interessant.«
    »Gut.« Standish wandte sich ab und studierte den Namen am Sockel des Monuments der trauernden Frau. SODDEN. Konnte das wirklich ein Name sein? Er unterdrückte den Impuls, zu kichern. »Also, wo sind sie begraben?«
    »Prominente Familie, ganz klar.« Der Vikar kam an seine Seite gewuselt. »Man könnte sagen, die prominente Familie in unserer kleinen Ecke der Welt. Sie wohnen bei ihnen, ja? Drüben in Esswood House?«
    »Ganz recht.«
    »Ruhig dort, nicht wahr?«
    »Ja, es ist sehr ruhig«, sagte Standish. »Warum, um alles in der Welt, auch nicht? Es soll ja ruhig sein.«
    »Das will ich meinen.« Der Mann leckte sich wieder die Lippen.
    »Ich suche nach Ediths Kindern - die drei, die so jung gestorben sind.«
    »Und warum nicht nach Edith? Miss Edith Seneschal, die Mrs. Edith Seneschal wurde, die müßte doch ganz bestimmt hier begraben sein, neben ihren Kindern?«
    Der Mann sah ihn mit schiefgelegtem Kopf und geschürzten Lippen an. Rostbraune Flecken bedeckten seine Soutane wie Streifen.
    »Und ihr Mann auch, meinen Sie nicht? Der ehrwürdige Arthur Seneschal, eine vage Gestalt, zugegeben, ein williger Partner, könnte man sagen, sehr willig, wette ich, wenn es darum ging, die Ambitionen seiner Frau zu unterstützen, Vater von fünf Kindern, Sie möchten doch auch sicher seinen Grabstein sehen, oder nicht?« Seine Stimme hatte einen natürlichen Singsangtonfall, und Standish hatte das Gefühl, als bestünde ein unausgesprochenes Wissen oder eine Mittäterschaft zwischen ihnen.
    »Ich glaube, ich verschwende meine Zeit«, sagte er.
    »Das glauben Sie, ja? Herrje, ich frage mich, warum Sie glauben, daß Sie Ihre Zeit verschwenden.«
    »Sind sie nicht hier?«
    »Sind sie nicht hier?« plapperte der Vikar in erstauntem Tonfall nach.
    »Sie sind nicht hier.«
    »Sie sind nicht hier«, sagte der Vikar.
    »Nicht?«
    »Nein.« Eine ungesunde Heiterkeit erfüllte den Vikar und ließ sein Gesicht noch dunkler anlaufen. »Ich frage mich, wo Sie wirklich wohnen. Ich frage mich, woher Sie wirklich kommen. Aber am meisten frage ich mich, was Sie hier auf meinem Friedhof zu suchen haben.«
    »Warum sollte ich nicht machen, was ich gesagt habe?«
    »Und warum sollten Sie nicht auch in Esswood House logieren?«
    »Verraten Sie es mir doch«, sagte Standish.
    »Niemand logiert in Esswood House, junger Mann. Ich bezweifle sogar sehr, daß überhaupt noch jemand in Esswood House wohnt. Ich nehme an, es könnte einen Hausmeister oder Diener geben, aber ganz sicher niemand aus der Gegend. Ich bezweifle, daß es sich überhaupt um Leute aus Lincolnshire handelt.« Er sah auf ein flaches Rasengrab hinab und ließ die Falten seiner Soutane rascheln. Für Standish sah es aus, als würde der Pfarrer in seinem eigenen Körper tanzen und voll boshafter Wonne herumwirbeln. »Sie müssen nicht glauben, daß ich so dumm bin, Sie müssen mich nicht für so einen Holzkopf halten, daß ich nicht schon als ich den Schnitt Ihrer Jacke sah genau wußte, wes Geistes Kind Sie sind.« Ein fröhlicher Trotz leuchtete in seinen Augen. »Ich wußte, daß jemand wie Sie kommen würde, aber in meinen kühnsten Träumen hätte ich nicht für möglich gehalten, daß jemand aufkreuzen und behaupten würde, daß er nach den Gräbern von Ediths armen Kindern sucht.«
    » Genau danach suche ich!«

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