Esswood House
sich bewußt, daß sie ihm schon auf den ersten Blick mehr oder weniger unsympathisch war.
Sie brauchte seine Hilfe.
Als wäre sie nur gekommen, um ihm das mitzuteilen, wandte sich Isobel Standish ab und verschmolz mit ihrem Baby wieder in der Dunkelheit. »Geh nicht«, sagte er und tastete nach dem Schalter der Nachttischlampe. Grelles Licht ließ plötzlich alles im Zimmer erstarren, die Kerzenhalter, den Plätter und das blaue Sofa, als wären sie im Dunkeln zum Leben erwacht gewesen und müßten jetzt wieder so tun, als seien sie erneut reglos.
Die Frau mit dem toten Baby war verschwunden. Standish hörte Wasser im Hof plätschern und ein lautes, krächzendes Geräusch, das er als sein eigenes Atmen identifizierte. Er zitterte am ganzen Körper.
Es hätte keinen Sinn, wenn er versuchen würde, noch einmal einzuschlafen. Standish schlug die Decke zurück und stieg aus dem Bett. Er lief zum Fenster und spähte durch die Schlitze des Rolladens. Das Fenster der Seneschals blinkte wie ein Signal und wurde wieder dunkel. Einen Augenblick überlegte er, ob er in den Ostflügel stürmen und sich gewaltsam Zutritt zu ihren Zimmern verschaffen sollte. Dort würden sie auf ihn warten, R. und M., alt geworden, die Bettdecken bis unter ihre zitternden alten Kinne ziehen und darauf warten, daß er sie zwingen würde, seine Fragen zu beantworten, was die Seneschals Isobel angetan hatten.
Er konnte immer noch die kühle Luft auf der Haut spüren, ebenso das pieksende rauhe Laub, das unter seinen Füßen zerquetscht wurde. Standish spürte, wie das Wesen ihn gerufen, hatte, sah sein Lächeln, seine Gier ... Er konnte nicht in der Dunkelheit durch Esswood wandern. Sein Blut schien dicker zu werden und sich in eine zähe, träge Substanz zu verwandeln, wie Öl; weiße Pünktchen tanzten vor seinen Augen. Er setzte sich. Dann hob er den linken Fuß und betrachtete die Sohle. Sie war schwarz von Schmutz, kleine organische Partikel klebten in den Falten und Wülsten der Haut. Sein Blut schien gar nicht mehr zu fließen. Standish erstarrte genau wie das Mobiliar, umklammerte seinen Fuß und betrachtete die zerquetschten, unebenmäßigen, bröckelnden Partikel, die an der gelblichen Sohle seines Fußes klebten. Er ließ den Fuß sinken. Auf dem Teppich, wo er aus dem Bad zum Bett gegangen war, konnte man hier und da vage staubige Abdrücke von der Größe seiner Füße erkennen.
Einen Augenblick wußte Standish ohne jeden Zweifel, daß sich weiche weiße Geschöpfe überall um ihn herum in dem dunklen Haus bewegten, nach seinen Spuren suchten, ihn brauchten: Er bildete sich ein, daß er sie mit kratzenden Fingernägeln durch die geheimen Korridore und die innere Galerie kriechen hören konnte.
Ist man erst auserwählt -
Standish sprang auf und schaltete eine weitere Lampe ein. Er hob den Schnellhefter auf, der B. d. P. enthielt. Der Beginn des Präteritums , dachte er - das war ein Esswood-Titel. Er machte es sich auf dem blauen Sofa bequem, damit er bis zum Morgen lesen konnte.
KAPITEL DREIZEHN
Isobels Handschrift war zu einem krakeligen, noch unleserlicheren Gekritzel verkommen. Manchmal sah Standish ganze Abschnitte in einem geheimen Code abgefaßt, der geheim bleiben wollte. Dieser ganze Teil der Memoiren, hunderte Seiten, war unter großem emotionalem Druck geschrieben worden.
Die junge Frau aus Massachusetts war, mittlerweile nicht mehr ganz so jung, in das Land zurückgekehrt. In den drei Jahren ihres, wie sie sich ausdrückte, »Exils« war es mit ihrer Schriftstellerei und ihrer Ehe bergab gegangen. Sie hatte nichts Nennenswertes mehr geschrieben, seit sie Esswood verlassen hatte, und duldete die Zuwendung ihres Gatten nicht mehr. Ihr schien, als wäre es auch mit ihrem Äußeren bergab gegangen, sie hatte strähniges Haar, glanzlose Augen und ein eingefallenes Gesicht - als wäre sie von einem zwingend notwendigen Labsal abgeschnitten worden. Sie starb. Sie fühlte sich, als würde sie in ihrem Körper verfaulen . Unter großen Qualen hatte sie an ihre »Erlöserin«, die »Gärtnerin ihrer Seele«, geschrieben und sie angefleht, daß sie sie noch einmal einladen möge. Aber gewiß doch , hatte E. geantwortet, wir haben auf Sie gewartet. Der Ehemann hatte offenkundig beschlossen, keine Einwände gegen ihre Reise vorzubringen, tatsächlich schien er der Verzückung seiner Frau angemerkt zu haben, daß es das Ende seiner Ehe bedeutet hätte, wenn er versucht haben würde, ihr die Reise zu untersagen. Martin Standish,
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