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Esswood House

Esswood House

Titel: Esswood House Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Straub
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so erstaunlich teilnahmsvoll wie immer: Vielleicht hatte er die Hoffnung gehegt, er könnte die geistige Gesundheit seiner Frau erhalten, wenn er ihr erlaubte, Esswood wiederzusehen. Sie war, dieses erste Mal, als literarische Bürgerin der Vereinigten Staaten von Amerika fortgegangen; sie kehrte, wenn überhaupt, als Bürgerin des »Landes« und der Literatur selbst zurück. Es herrschte Krieg; die Welt war in primitive, brüllende, schwarzweißmalerische Fraktionen zerfallen. Das »Land« war ein vollkommen abgeschiedener Ort, und die junge Frau war der Meinung, daß Poesie in Zeiten einfältiger Parolen nur in der Abgeschiedenheit gedeihen konnte. Nach sieben Wochen auf Reisen fiel sie am Bahnhof E. in die Arme und wurde kurze Zeit später die Schottereinfahrt zwischen den Bäumen entlanggefahren. Ein kleiner, braunweißer Spaniel schnappte nach den Rädern der Kutsche. Sie fing an zu weinen, als sie die lange und anmutige palladianische Fassade sah. Sie war wieder zu Hause. Wir haben Sie gebraucht , sagte E. zu ihr. An diesem Abend aß sie Kalbslende mit Morchelsoße und spürte, wie Gesundheit und Kraft in ihren Körper zurückkehrten. Zu Ehren ihrer Heimkehr, so sagte E., tranken sie Chateau Lafite-Rothschild 1860. Das Leben, das sie brauchte, das ihr das Leben wiedergab, hatte sie wieder unter seine Fittiche genommen.

    Standish hob den Kopf und sah eine schwarze Neumondnacht durch die Ritzen der Rolläden. Ein leises murmelndes Geräusch, dessen er sich ständig mehr oder weniger bewußt gewesen war, offenbarte sich als Wasser, das unten im Springbrunnen plätscherte. Es schätzte, daß es gegen vier Uhr morgens sein mußte.

    Eine Zeitlang nahm die junge Frau nichts anderes als die Freude darüber wahr, wieder mit einem Territorium vereint zu sein, das ihr so heilig war. Sie saß in einer von Glücksgefühl ausgelösten Benommenheit auf ihrem Stuhl in der Bibliothek. Von derselben, fast ätherischen Freude erfüllt, schlenderte sie die Terrassen hinunter zum Teich und überquerte die Felder und sog sie in sich auf, ließ sich von ihnen erquicken. Sie stellte häufig fest, daß sie weinte, als ob ihr Leben aus einer kaum wahrgenommenen Gefahr errettet worden wäre. Die Tiefe der Wahrnehmung, die sie vor drei Jahren nach mehreren Monaten erlebt hatte, stellte sich nun ganz mühelos wieder ein, und alles um sie herum schien wie aufgeladen von seinem eigenen notwendigen Sein. Die Erde brannte . Die Einbände der Bücher in der Bibliothek glänzten , die fetten weißen Leiber der Schafe loderten auf den Feldern. Poesie strömte in einem intensiven, fast beängstigenden Schwall aus ihr heraus, nach dem sie erschöpft war und sich kaum erinnern konnte, was sie geschrieben hatte. Jeden Tag zwei, drei, vier neue Gedichte - Gedichte, denen nach Ansicht ihrer Verfasserin eine kaum zu bändigende Kraft innewohnte, die alles verspottete, was sie bis dato geschrieben hatte. Die junge Frau war wie die Adeptin einer Religion, die die Schöpfung selbst verehrte, denn was das »Land« mit Energie erfüllte und ihre Gedichte quasi brodelnd auf das Papier bannte, war eine originäre, heilige Kraft ohne einen Gott, ohne Jesus Christus, ohne Priester oder Zeremonien - eine verklärende Kraft, die ihr eigener Gott, Erlöser, Priester, Zeremonie war. Sie war abermals auserwählt worden, und zwar eindeutiger als zuvor. Sie wollte niemals freiwillig hier fortgehen, und wenn man sie zwingen sollte, zu gehen - wenn jemand kam, um sie fortzuzerren, wenn sie weggeworfen werden sollte wie die Abfall eines erfüllten Zweckes um wieder in der inerten Welt außerhalb zu leben, besonders der inerten Welt von Massachusetts, und ganz speziell der Brunton Road, Duxbury, Massachusetts, dann würde sie grauen Tod einatmen und sterben. Denn unter den anderen Gästen befand sich der »Landstreicher«, der »Zigeunergelehrte«, der ihr die zentralen Imperative ihres Lebens so drastisch bewußt gemacht hatte. Die berühmten kornblumenblauen Augen wirkten trüb und verblaßt, seine Kleidung war noch schäbiger, wahrscheinlich war Reinlichkeit ein Fremdwort für ihn - Standish schien er ein beunruhigend abgerissener Charakter zu sein. Was er sagte, war Poesie und Inspiration für die junge Frau, aber Standish kam es abgedroschen vor. Was für die junge Frau das »Land« war, das war für ihn »England in einer Nußschale«. Das ländliche England bedeutete Transzendenz für sie; für ihn war es transzendent, weil es sich um das ländliche England

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