Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Esswood House

Esswood House

Titel: Esswood House Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Straub
Vom Netzwerk:
andere auf, Fontänen von Samen spritzten aus ihm heraus wie das Wasser des Springbrunnens im Innenhof und flogen in die Dunkelheit. Standish fühlte sich sofort ausgelaugt, als hätte er ein Viertel seines Blutes verloren. Er glaubte, daß die schreckliche Gestalt vor ihm lächelte. Er machte von Grauen gepackt die Augen zu und sank in eine Ohnmacht -
    schlug sie aber sofort im Bad wieder auf, wo er sich mit durchgedrückten Armen am Waschbecken abstützte. Eine letzte Wolke milchigweißer Flüssigkeit floß über das Muster blauer Blumen. Die Gänsehaut auf seinen Armen und Schultern verschwand. Er schüttelte den Kopf und betrachtete sich im Spiegel. Sein Gesicht war müde und ganz normal, aber kalkweiß vor Schock. Die ganze Abfolge von Ereignissen, seit er das Eßzimmer verlassen hatte, war vage geworden, obwohl sie ihren Höhepunkt in dem außergewöhnlichen Erlebnis gefunden hatten, das er gerade eben gehabt hatte. Er spritzte sich das Gesicht naß und ließ reichlich Wasser in das Waschbecken fließen. Ihm war immer noch zumute, als wäre er gerade aus einer Achterbahn ausgestiegen.
    Im Schlafzimmer zog er den sauberen, geplätteten Pyjama an, der auf das Bett gelegt worden war, und knöpfte ihn zu. Sein ganzer Penis fühlte sich wie ausgehöhlt an. Als er sich ins Bett legte, roch er das Glas Whisky, das er offenbar auf den Nachttisch gestellt hatte, bevor er es sah. Ohne zu zögern ergriff er das Glas und trank den halben Inhalt auf einen Zug. Eine warme Kugel wuchs in seinem Bauch wie ein Samenkorn und ließ Schößlinge und Ranken in seine Brust wachsen. Jetzt fühlte er sich leicht, als hätte er praktisch keine Knochen. Der schwere Schnellhefter fiel ihm aus den Händen auf die Brust. Als Standish einschlief, wurde ihm klar, daß er gar nicht nachgesehen hatte, ob die Seneschals ihre Lichter gelöscht hatten.

    Jedenfalls hatten sie sie mehrere Stunden später gelöscht, als er erwachte. Wieder hatte er das Gefühl, daß sich jemand in seinem Zimmer befand, doch diesmal war das Gefühl einer fremden Präsenz keineswegs bedrohlich. In seinem Schlafzimmer herrschte völlige Dunkelheit, nicht einmal das dunstige gelbe Licht zwischen den Lamellen des Rolladens war zu sehen. Von der Präsenz im Schlafzimmer ging ein Gefühl des Unglücklichseins aus, sogar der Wut, so übermächtig, daß man es wahrnehmen mußte.
    Daß sie überhaupt zurückgekehrt war, belegte deutlich, wie sehr sie ihn brauchte.
    »Ich weiß, daß du da bist«, sagte er leise.
    Und dann wurde William Standish tatsächlich fast ohnmächtig, denn eine schlanke Gestalt, die etwas heller war als der Rest des Zimmers, löste sich aus der Dunkelheit und näherte sich dem Bett eine Winzigkeit. Bis zu diesem Augenblick hatte Standish in einer Welt der Mutmaßungen, Hypothesen, Hirngespinste und Phantasien gelebt - aber die Gestalt, die sich schüchtern dem Bett näherte, gehörte einer ganz anderen Kategorie von Wesen an. Sie war ein Beweis, eine Bestätigung. Standishs Mund wurde trocken.
    Die blasse Gestalt kam näher. Jetzt sah er, daß sie etwas mit beiden Armen vor sich in die Höhe hielt, wenig später identifizierte er es als ein Baby. Kummer machte ihm das Herz schwer. Er konnte den Scheitel der Gestalt und das Haar sehen, das wie lange, glatte Flügel herabhing. Ihre Blässe verlieh ihr ein substanzloses Aussehen, als wäre sie transparent, aber sie war nicht transparent: Sie sah ausgeblichen aus, fast fadenscheinig, wie ein Kleidungsstück, das man an einem Stein gerieben hatte. Er konnte nur einen Teil des Gesichts des Kindes sehen, eine wächserne Nase und leblose Augen, die aus der Decke schauten. Die Frau kam weiter ganz langsam auf sein Bett zu und hob dabei nicht weniger langsam den Kopf. Eine hohe Stirn wurde sichtbar, buschige Augenbrauen, der Nasenrücken - aber da spürte Standish schon, wie sich seine Emotionen wie bei einem Autounfall ineinander verkeilten. Das Gesicht war nicht das seiner Angebeteten. Diese Frau war größer, schlanker, schlichter, wenn nicht intelligenter, intellektueller, und vor allem intensiver - diese Frau wußte bestimmt nicht, wie man flirtete. Standish ging auf, daß die Frau, die er an seinem ersten Abend in Esswoood gesehen hatte, die Seiten, die er las, nicht geschrieben haben konnte: diese Frau, die vom Ufer des langen Teichs zu ihm aufgeschaut hatte, war ihre Verfasserin. Das war Isobel Standish. Sie war linkisch, intensiv, launisch und auf eine in jeder Hinsicht falsche Weise sensibel. Er wurde

Weitere Kostenlose Bücher