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Esswood House

Esswood House

Titel: Esswood House Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Straub
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bestenfalls als fast unmerkliche Verwerfung in den Baumkronen zu erkennen, weiter einen Hang hinab. Sie wuchsen so dicht beisammen, daß er weder den Grund der Senke noch die Stelle sehen konnte, wo sie wieder zu dem Feld hin anstieg. Er ging bergab. Vor siebzig Jahren, achtzig Jahren, als die Bäume jung waren, mußten Pfade zwischen ihnen hindurch und um sie herum geführt haben; jetzt waren die gequälten Zweige zusammengewachsen und ineinander verwoben. Standish war zehn oder zwölf Schritte weit gekommen, aber die verzahnten Bäume ließen nicht zu, daß er den flachen Boden und die Lichtung mit den Gräbern fand. Er wich etwa dreißig Schritte halbkreisförmig nach links aus, suchte nach einer Öffnung in dem Geflecht, ging schließlich ein kleines Stück Richtung Teich zurück, ließ sich auf die Knie nieder und kroch unter die verwobenen Äste.

KAPITEL SECHZEHN
    Unter seinen Händen befand sich ein glatter brauner, selbst im Halbdunkel seltsam fahler und ein wenig feuchter Teppich aus verfaulendem Laub und lockerer, krumiger Erde, die sich anfühlte, als wäre sie durch den Verdauungstrakt eines monströsen Insekts gewandert. Standish kroch auf Händen und Knien vorwärts und fragte sich, ob Isobel und der Zigeuner dem Jungen Robert auf eben diesem Pfad gefolgt waren. Denn dies war einmal ein Pfad gewesen - darum hatte er den Umweg auf sich genommen. Hier standen die Zwergeichen weiter auseinander und bildeten eine Art von niedrigem, bogenartigem Eingang, aber Standish sah nicht die Flecken und Kleckse von Sonnenschein, durch die Isobel sich auf dem Weg zu der Lichtung bewegt hatte. Je weiter er vorankam, desto schwärzer wurde die Dunkelheit; er kroch wachsam durch eine endlose, hier und da mit milden Grautönen getupfte Nacht. Nach einer gewissen Zeit wußte Standish, daß er sich verirrt hatte. Er war versehentlich von dem zugewachsenen Pfad zu der Lichtung abgekommen. Er konnte noch stundenlang zwischen den Eichen dahinkriechen und sich dabei immer weiter und weiter entfernen. Seine Knie waren naß; seine Hände fühlten sich kalt und schmutzig an. Standish ließ sich auf die feuchte, krumige Erde fallen. Schweiß verdampfte wie Dunst auf seinem Körper und umhüllte ihn mit Feuchtigkeit. Er legte den Kopf auf die Handrücken. Die Erde summte und bewegte sich in fast unmerklichem peristaltischem Zittern, den Bewegungen der Haut eines großen Tiers gleich. Von irgendwo seitlich ertönte ein leises Geräusch der Heiterkeit, wie unterdrücktes Gelächter, das sich gegen das zischelnde Geräusch des Bienenschwarms durchsetzen konnte. Er stemmte sich wieder auf die Knie.
    Vielleicht fünf Minuten später verwandelte sich die Farbe der Dunkelheit vor ihm von Holzkohle in ein milderes Anthrazit, kurz darauf durchbohrte Sonnenschein die verhakten Arme der Bäume. Helle Flecken fielen wie durch ein Brennglas gebrochenes Licht auf den Boden. Sein Rücken wurde warm. Das Bienenschwarmgeräusch war lauter und dichter geworden und eindeutiger die Summe vieler Stimmen, die zusammen eine gewaltige Stimme bildeten. Standish erinnerte sich an den Burberry-Regenmantel und den Filzhut, heiße, schwere, notwendige Gegenstände. Dann war er da, wohin Isobel und der Zigeuner dem Jungen gefolgt waren, denn er merkte, daß sich die ineinander verhakten Finger über ihm voneinander gelöst hatten und sah auf seinen gedrungenen, kantigen, kopflosen Schatten hinab.
    Das zischelnde Geräusch ertönte nicht mehr - er war in seinem Zentrum. Standish erhob sich grunzend auf die Beine. Seine Knie waren schmutzig und durchnäßt, sein Hemd dunkel von Schweiß. Er stand am jenseitigen Rand eines Kreises aus Bäumen, die eine runde Lichtung mit einem Durchmesser von rund fünf Metern umgaben, deren exakte Abmessungen von einer riesigen Maschine in den Wald gestanzt worden zu sein schienen. Langes, weiches, gleißendes Gras bedeckte die Lichtung, in der Mitte ragten die drei grasbewachsenen Hügel auf, die Isobel gesehen hatte. Es waren sehr flache, sanfte Erhebungen, kaum voneinander und dem Boden ringsum zu unterscheiden. Sie hatten keine Grabsteine, sie brauchen keine, wir kennen ihre Namen. Standish atmete aus, verstand alles und hörte sein lautes Atmen augenblicklich im lauteren, aber unhörbaren Geräusch des Seelenverkehrs untergehen, das das Geräusch des Bienenschwarms war. Magik , hatte Isobel geschrieben und die alte Schreibweise benutzt. Es war Magik. Wahrscheinlich war es stets ein heiliger Ort gewesen, denn dies war eine

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