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Esswood House

Esswood House

Titel: Esswood House Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Straub
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Möglichkeit es auszudrücken, und jetzt war er es umso mehr wegen den Menschen, die sie benutzen und hier begraben hatten. Edith lag nicht hier begraben, denn sie war normal gestorben; und Roberts Schwester auch nicht, denn sie war nicht tot. Andere schon.
    Standish ging durch das kühle, üppige, liebkosende Gras voran und blieb vor dem einen Hügel stehen, zu dem die drei mittlerweile zusammengewachsen waren. Mit einem lauten Stoßseufzer warf er sich auf das Massengrab. Das tiefe Vibrieren der Erde empfing ihn. Das lange Gras fühlte sich an seinen Wangen wie das Haar einer schönen Frau an, das lange, kühle Haar seiner Angebeteten. Er breitete die Arme aus und umschlang den länglichen Hügel, und die Sonne schien ihm auf den Rücken. Er seufzte wieder, vom selben Gefühl fassungsloser Erleichterung erfüllt, und nahm das lange, seidige Gras zwischen die Finger. Einst, vor nicht allzu langer Zeit, hatte er gesagt: Ich will in der Welt leben , und machte er jetzt nicht ganz genau das, in der Welt um sich herum leben? Auch hier, unten in der Erde, lag ein anderes verlorenes Kind, mit seiner Mutter Isobel begraben, und flehte mit allen anderen um Erlösung, flehte wie ein blasses Geschöpf, das sich an eine Fensterscheibe drückte.
    Er sah sich, wie er zu einer von Isobels Gabelweihen oder Amseln hinaufschauen würde, auf dem Gras ausgestreckt wie eine Parodie von Isobel und ihrem umschlungenen Zigeuner. Er glaubte, daß er das leise, vage Geräusch hören konnte, das die Quelle des Bienenschwarmgeräuschs war. Welche Macht ein verlorenes Kind besitzt, was für ein Hebel es ist, was für eine leistungsstarke Batterie.
    Standish stemmte sich von dem flachen Grab hoch und stand auf. Er spürte das mächtige, hochenergetische Summen überall um sich herum in der Luft. Er unternahm den halbherzigen Versuch, Schmutz und Laubfetzen von seiner Hose zu streichen und sah, daß er jetzt ein paar verschmierte Grasflecken auf seinem schweißnassen Hemd hatte. Auf jeden Fall waren seine Hände so schmutzig wie seine Knie. Er wischte sie an den Hosenbeinen ab und sah zu den Vögeln hinauf, die oben kreisten. Sie hatten die stolze Flügelspannweite von Pterodactylen, von Raubvögeln. Esswoods Zentrum schien sich kontinuierlich zu verschieben, schien sich auszudehnen, so wie sich in einem Gedicht, dem es gleichkam, eines mit dem anderen reimte. Standish wandte sich von dem Grab ab und der kreisrunden Mauer der Bäume zu. Direkt vor ihm lag der Pfad, auf dem Isobel und der Zigeuner ihrem Führer zu der Lichtung gefolgt waren und der sie nach Esswood zurückgebracht hatte. In der Erde unter den verflochtenen Zweigen konnte er die Spuren seines eigenen Dahinschreitens sehen. Er ließ sich auf die Knie sinken, die mit Schmerzen darauf reagierten, und kroch in den Wald zurück.
    Sein enthaupteter Schatten schmolz unter ihm dahin, das Licht unter ihm nahm einen Anthrazitton an, der schließlich in Holzkohle und dann in völlige Schwärze überging. Die Kälte des Erdreichs strömte in seinen Körper ein und die Möglichkeit, daß er sich wieder verirren könnte, flackerte wie Panik in seinem Hirn, aber es schien, als würde schon nach der halben Zeit des Ausflugs zu der Lichtung hin Licht erstrahlen und die Bäume zurückweichen, bis er den Hang vor sich sah, der zurück zum Teich und der untersten Terrasse führte. Er stand auf und ging die Anhöhe hinauf, wobei er sich hin und wieder an einem Ast voranzog.

KAPITEL SIEBZEHN
    Am oberen Ende der Treppe ging er durch das brennende Gras zum Laubengang und eine Schar träger Gespenster hob die Teetassen und beobachtete aus den Augenwinkeln, wie er vorüberlief. Ihre Konversation, die geistlos oder brillant oder Selbstzweck sein mochte, was ihm einerlei war, bildete einen Teil des unhörbaren generellen Summens. Er glitt in den Laubengang. Feiste grüne Blätter, so dunkel wie Spinat, bildeten ein Gefäß für die zitternde Flüssigkeit des Sonnenscheins. Es gab keinen anderen Weg zurück als vorwärts, und Standish betrat das Haus durch die entriegelte Küchentür und durchquerte die Küche in Richtung Treppe zum Eßzimmer. Neben dieser geschlossenen Treppe fiel ihm eine Tür auf, die zu öffnen er sich bisher nicht die Mühe gemacht hatte, aber er vermutete, daß sie zu einer weiteren Treppenflucht in den Keller hinunter führen würde, daher machte er sie jetzt auf, und so war es.
    Unten in dem Durchgang aus Stein wandte er sich Richtung Heizraum. Vor ihm standen Türen offen; als er

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