Esswood House
übergekochten Topf, und einige verstreute Papiere waren irgendwie einen bis anderthalb Meter in das Zentrum geflattert. Das war alles. Ein Fremder, der die Bibliothek betrat und sich flüchtig umschaute, würde nichts sehen, das ein Zimmermädchen nicht binnen weniger Minuten aufräumen konnte.
Die ursprüngliche Kiste befand sich immer noch neben dem roten und goldenen Stuhl, der immer noch vor dem Schreibtisch mit der schrägen Platte stand. Die Tischplatte jedoch war jetzt eben, darauf stand die Flasche Haut-Brion. Standish watete aus dem Erker hinaus und ging zu dem Schreibtisch. Er sah auf Isobels armselige Manuskripte hinab und überlegte, ob er sie in den Erker tragen und auf den übrigen Kram werfen sollte. Er stieß die Manuskripte mit dem Fuß an und beobachtete, wie sie seitwärts kippten und Zeile über Zeile von Isobels enger Handschrift sichtbar wurden. Das war gut: Das war besser. Jetzt konnten die Zeilen und Sätze und Worte sich von den Seiten emporschwingen durch das Zimmer fliegen - sie konnten durch das Fenster entkommen und himmelwärts fliehen.
Standish hob die Flasche zum Mund und trank. Er betrachtete die Bibliothek teilnahmslos und fand sie außerordentlich schön. Er stellte sich vor, wie er wieder in den Erker ging und sich mit seiner Axt der Regale annahm - die meisten hatte er während seines Feldzugs nur angekratzt. Er konnte sich nicht erklären, warum er die Regale nicht auch kleinbekommen hatte, während er seinem Werk nachgegangen war. Jetzt waren seine Arme so schwer, daß er kaum die Weinflasche heben konnte.
Er schaute auf, und der Gott sah finster auf ihn herab und zeigte mit dem wirkungslosen Finger auf ihn. Der Gott bestand ganz aus Farbe, den winzigen Bruchteil eines Zentimeters dick; daß der zeigende Finger herauszuragen schien, das war eine Illusion, von einem Mann namens Robert Adam geschaffen, der große Häuser und erlesene Bibliotheken geliebt hatte. Standish wog die Axt in den Händen. Er hob sie und ließ sie dann auf den Schreibtisch fallen, denselben Schreibtisch wie auf dem Gemälde über dem Kaminsims. Die Axt bohrte sich mit einem stattlichen Splittergeräusch durch die Tischplatte. Krimskrams, den Standish kaum bemerkt hatte, Bic-Faserstifte und Notizblöcke, fielen ins Innere des Schreibtischs. Andere nebensächliche Sachen flogen in die Bibliothek hinaus. Seine Hände taten so sehr weh, daß er sich fragte, ob er die Axt jemals wieder benützen konnte.
Das Licht der Spätnachmittagssonne flutete die Bibliothek.
Standish ließ die Axt fallen und bemerkte, wie Blut neben der Schneide auf den Teppich spritzte. Der Teppich schien das Blut augenblicklich zu trinken, ließ die kleinen roten Flecken schrumpfen und höhlte sie zu rosaroten Ringen aus, die auf dem Apricot fast unsichtbar waren.
Sein Magen knurrte.
Er dachte einen Moment nach, dann lächelte er und setzte sich an den ruinierten Schreibtisch. Er fand einen Bic-Schreiber eingebettet zwischen langen lackierten Splittern und unter einem frischen Notizblock. Er schrieb Streichhölzer auf den Block. Dann riß er das Blatt von dem Block ab und zwang sich, aufzustehen. Er wankte zur Tür und machte sie auf. Niemand außer den Gespenstern von Literaten sah ihm zu, als er das gelbe Blatt Papier auf den Teppich legte.
Im Eßzimmer war das Mittagessen abgeräumt und der Tisch für das Abendessen gedeckt worden. Eine offene Flasche Rotwein stand auf dem Tischtuch. Standish hatte einen Geschmack im Mund, als hätte er Asche gegessen, daher füllte er das wunderschöne Goldrandglas und stürzte mehrere Schlucke Rotwein hinunter, bevor er sich die Mühe machte und das Etikett betrachtete. 1916er La Tache. Das konnte das Jahr gewesen sein, in dem Isobel in das Land zurückkehrte, um nach Edith Seneschal, Esswood und den lüsternen Umarmungen von Theodore Corn zu suchen. Was hatte Isobel Standish 1916 sonst noch gesucht, mitten in einem blutigen, weltweiten Krieg? Die letzte Spirale in der rosaroten Muschel, die Geschichte in der Geschichte, der neue Satz, die Ursache des Geräuschs. Blut tropfte langsam von Standishs Hand auf die Tischdecke. Er lächelte und stellte das Glas weg, damit er die rechte Hand mit einer der großen Stoffservietten Esswoods verbinden konnte. Schmutzig und ohne Oberhemd setzte er sich hin und hob den goldenen Deckel. Isobels Leibgericht dampfte auf dem goldenen Teller.
Standish aß. Der Raum kippte nach links, dann nach rechts. Damit sein Körper im rechten Winkel zum Tisch blieb,
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