Esther Friesner
schlafen.
Die Kutsche des Königs war ein schier unglaubliches Stück Handwerkskunst. Solange wir darin fuhren, brauchten wir überhaupt nicht am Wegesrand haltzumachen, außer um erschöpfte Einhörner gegen frische einzutauschen. Sie hatte acht Sitzplätze - Sitze, die sich so einfach und mühelos in bequeme Betten verwandeln ließen, daß selbst ein König nicht überfordert war. Der königliche Reisekoch fuhr im hinteren Teil der Kutsche mit, wo er in einer winzigen Küche elegante Mahlzeiten und Appetithappen zubereitete. Der Leibdiener des Königs bediente uns an unseren Plätzen, nachdem er zuvor raffinierte kleine Klapptische aus den Armstützen der Sitze hervorgeholt hatte. Die Fahrt selbst verlief so ruckfrei, daß der Butler des Königs uns unseren Wein - und Scandal seine Sahne - einschenken konnte, ohne dabei befürchten zu müssen, auch nur einen einzigen Tropfen zu verschütten. Am praktischsten aber war eine kleine Kabine hinter der Küche, die Scandal ständig als »Streukiste für Hautgerippe« bezeichnete.
Es fiel mir schwer, den Blick von dem Kater abzuwenden.
Ständig rechnete ich damit, daß er sich in Luft auflösen könnte. Ich mußte mir selbst unentwegt sagen, daß nichts Gespenstisches daran war, daß er den schrecklichen Absturz überlebt hatte. Katzen sind Fabelwesen, die ihren eigenen Gesetzen gehorchen. In einer Legende heißt es eben, sie würden immer wieder auf die Füße fallen. Ich hatte jetzt lediglich den Beweis für die Richtigkeit dieser Behauptung vorliegen, mehr nicht.
Aber weshalb fühlte ich mich dann trotzdem so niedergeschlagen?
Ich versuchte, Scandal aus meinem Geist zu verbannen und nachzudenken. Jetzt würde alles in Ordnung kommen, obwohl es in Gladderadatsch alles andere als glückverheißend begonnen hatte.
Onkel Corbly und Torse hatten drei Einhörner aus der Herde herausgelöst, um mit uns in die Stadt zu reiten. Einhörner brauchen nicht erst an den Sattel gewöhnt zu werden, wie das bei Pferden der Fall ist; sie sind klug genug, um zu wissen, was man von ihnen will, und es auch mit einem Minimum an Aufwand zu tun. Ein weiterer Grund dafür, daß man sie gar nicht erst mit dem Sattel bekanntzumachen braucht, liegt darin, daß sie sowieso niemals Sättel annehmen, und wenn man sich auf den Kopf stellt. Außerdem lassen sie sich nur vor Kutschen und Wagen spannen, wenn mindestens ein König, eine Königin, ein Prinz oder eine Prinzessin mit auf die Reise geht. Lädt man nur einen Herzog ein, verweigern sie stur den Dienst.
Wie Onkel Corbly sagt: »Einhörner sind noch schlimmere Snobs als Drachen, und Drachen sind schon so versnobt, daß manche Leute sagen, sie seien gänzlich ausgestorben.
Wenn man sich nur von Jungfern von königlichem Geblüt ernähren mag, bleibt der Teller eben meistens ziemlich leer.«
Das Reiten ohne Sattel war nicht gerade einfach. Einhörner haben noch eine Eigenart, man kann ihr Horn nämlich nicht als Zügel benutzen. Wenn man es versucht, wirft das Einhorn einen ab und zeigt einem, wozu das Horn in Wirklichkeit gedacht ist. Ich hielt mich also fest, so gut ich konnte, indem ich die Knie in die hellorangefarbenen Flanken des Tiers schlug und hoffte, daß wir möglichst bald in Gladderadatsch eintreffen mochten.
Scandal kicherte. »Mein Herr, sagt der! Eine Katze mit einem Herrn!
Nee, nee, er ist bloß der mächtigste Zauberer, den Orbix je gesehen hat. Junge, Junge, Krönlein, du mußt aber noch viel lernen!«
Wir erfuhren, daß König Steffan schon als Prinz sehr schnell gelernt hatte. Die erste Lektion, die ihm sein königlicher Papa eingetrichtert hatte, lautete: Ich bin der König und du nicht. Und die zweite besagte: In diesem Königreich wird etwas entweder auf meine Weise gemacht oder auf keine Weise.
Das hatte er schnell gelernt. Und damit wußte er bereits alles, was er wissen mußte.
»Katze, du wirst bei mir ein sehr glückliches Leben führen«, sagte er.
»Nun haltet mal schön die königlichen Hosenträger oben, Euer Großkotzigkeit …«, fing Scandal an.
Der König klatschte in die Hände, und schon brach eine Invasion von Dienstboten in den Thronsaal ein, allesamt mit Tabletts bewaffnet, die sich von köstlichen Speisen förmlich bogen. Auf einen Wink des Königs kamen sie auf den Kater zu und stellten die Tabletts um ihn herum am Boden ab.
Scandal musterte die Berge aus Braten, glasierten Fasanen, fettem Fisch. Seine Augen schienen immer größer und größer zu werden, je länger er hinsah.
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