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Esther Friesner

Titel: Esther Friesner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Katze läßt das Zaubern nicht
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auch bleiben. Jedesmal, wenn ich versuchte, sie zu öffnen, bohrte sich schon der allerwinzigste Lichtstrahl wie eine Speerspitze bis in meinen Hinterkopf. Alles, was ich mir wünschte, war, mich mit geschlossenen Augen hinzulegen und auszuschlafen, bis ich mich wieder besser fühlte.
    Und genau das hätte ich auch getan, wäre da nicht dieses Geschrei gewesen.
    Ich zwang mich dazu, die Augen zu öffnen. Da war einfach viel zuviel Licht, und ich blickte geradewegs hinein.
    Das war komisch. Ich hätte schwören können, daß da vorher noch ein riesiges Kuppeldach gewesen war, das Meister Thengors Schlafgemach bedeckte. Ich erinnerte mich noch deutlich daran, wie Edelfrau Inivria den Dienstboten auftrug, die getönten Glasscheiben in der Kuppel zu öffnen, damit die Seele des alten Mannes durch eine davon entfleuchen konnte, wenn die Zeit gekommen war.
    Jetzt gab es weder Fenster noch Kuppel, nur die abgebrochenen Zähne zerborstenen Gesteins und zerschmetterten Glases. Das Geschrei war immer noch nicht abgeklungen.
    Ich schnippte ein paar getönte Glassplitter von meinem Kittel und erhob mich mit Hilfe meines Stocks.
    Meine Beine gaben unter meinem Gewicht nach. Der Boden fühlte sich klumpig an, waberte und verschob sich ständig unter meinen Füßen. Selbst als ich mich auf meinen Stock stützte, um das Gleichgewicht wiederzuerlangen, fühlte ich mich nicht besonders sicher. Hatte etwa dieselbe Katastrophe, die das Dach von Meister Thengors Schlafgemach weggefegt hatte, dem Fußboden etwas ähnlich Grausiges angetan? Ich blickte nach unten.
    Oh! Ich stand ja gar nicht auf dem Fußboden; ich stand auf Meister Thengors Bett. Das erklärte auch, weshalb es sich so federnd anfühlte.

    Meister Thengor lag noch darin. Und das wiederum erklärte die Klumpen.
    »Es tut mir leid, Meister Thengor«, sagte ich und versuchte, mich hinter meinem Stock zu verbergen. Am liebsten wäre ich auf der Stelle gestorben. Meister Thengor hatte schließlich zwei Studenten ganz einfach verascht, nur weil sie sich an seinem Sterbebett gezankt hatten. Was würde er da erst mit mir machen, der ich nun ausgerechnet darauf stand?
    Nichts, wie es schien. Meister Thengor lag einfach nur da, den Mund aufgesperrt, das Gesicht aschgrau. Ich hörte auf, mich zu ducken, aber das Geschrei ging unvermindert weiter.
    Vorsichtig kletterte ich vom Bett des toten Hexers und orientierte mich. Von hier oben aus konnte ich alles beobachten, und das meiste davon bestand aus flüchtenden Leuten.
    Nicht alle schrien - nur die Kinder und die Mätressen und drei der Heiler und ein angeberischer Windpuffer sowie der Meister Dwimmermet. Die Erzieher und die Kindermädchen sagten ständig:
    »Nicht rennen, nicht schubsen, vergeßt nicht, euch an den Händen zu fassen, wenn wir erst draußen in Sicherheit sind, zählen wir alle durch, kein Grund zur Panik, nicht drängeln, ich habe dich gesehen, Sali, das macht zwei Minuspunkte wegen schlechten Betragens …«
    Die Erzieher und Kindermädchen wurden auch von meinen fliehenden Mitstudenten geschoben, bedrängt, niedergetrampelt. Falls sie tatsächlich draußen noch etwas zählen würden, dann wohl in erster Linie gebrochene Knochen, und außerdem nahm niemand den anderen bei der Hand, außer um ihn von der Tür zu reißen, um als erster hinauszugelangen. Ich sah, wie Tolly Fluchhändler einen armen Kerl mit einem federdünnen Speer aus sengendem grünen Licht durchbohrte, nur, um ihn aus dem Weg zu räumen.
    »Bei Wedwels Gebiß!« fluchte ich. Das war kein besonders großartiger Fluch, auch kein außerordentlich schlimmer - Paps hätte das Gesicht verzogen und Mutter hätte mich aufs Zimmer geschickt, weil ich so leichtfertig den Namen unseres Gottes in den Mund genommen hatte -, aber irgend etwas mußte ich ja schließlich sagen.
    »Warum laufen die denn? Warum schreien die denn? Was war denn das, ein Erdbeben? Ein Wirbelsturm? Was ist denn passiert?«
    »Du bist passiert.«

    Ich hatte nicht mit einer Antwort gerechnet, und als ich nun doch eine erhielt, machte ich einen Satz so hoch wie mein Rattenklopperstock. Als ich wieder auf dem Boden aufkam, sah ich, wie Edelfrau Inivria mich finster musterte.
    Ihre bunten Schleier waren alle zerfetzt und durcheinander, und sie hatte soviel Gips im Haar, daß ich nicht zu sagen vermochte, ob es nun schwarz oder grau war. Rechts und links von ihr standen zwei der verbliebenen schwarzgekutteten Zauberer. Dahinter saß Zoltan Bösherr auf der Kante der obersten Plattform, den

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