Esther Friesner
aus?« lüsterte ich Grym zu.
»‘s ist nicht nur an dir, o Kendar«, erwiderte der Barbar feierlich. »In unseren Stammessagen ist oft davon die Kunde, daß man keinen Welfie von seinen Genossen zu unterscheiden vermag, außer an den Namensschildern.«
»Was für Namensschilder?«
»Siehst du die nicht dortselbst, dicht oberhalb der linken Brust?«
Ich sah zu der Stelle, auf die sein schwertgeprüfter Finger deutete.
Ja, er hatte recht: Wenn man nur genau hinsah, konnte man dort eine kleine, eingestickte Linie erkennen, aber …
»Das kann ich nicht lesen.«
»Ebensowenig wie ich. Beherrschtest du jedoch der Welfie Zunge, so könntest du’s. Diese Schilder sind nur ein grausamer Scherz der Welfies, denn ihre gesprochene Sprache zu erlernen, dauert ein Menschenleben, noch länger aber die geschriebene. Doch froh sind sie darüber allemale. Es heißt, wer eines Welfies wahren Namen kennt, darf rechtens sich der Kreatur Herr und Meister nennen.«
Das war mir neu. Mysti hatte mir geradeheraus ihren Namen genannt, einfach so. Ob sie nicht gewußt hatte, was sie da tat?
Vielleicht stimmten die Geschichten ja auch nicht, die Grym gehört hatte. Andererseits - vielleicht stimmten sie sehr wohl, vielleicht wußte Mysti nur zu genau, was sie tat, und vielleicht hatte sie sogar die Wahrheit gesagt, als sie mir soeben mitgeteilt hatte, wie verzweifelt sie sei.
Doch darüber würde ich mir später noch Gedanken machen, sofern mir noch ein Später gewährt sein sollte. Im Augenblick wichen die Welfies in ihren weißen Gewändern ein Stück zurück, um einen Weg zu dem von mir zerstörten Pilzhaus freizumachen. Vier wankende Welfies kamen näher, eine goldene Sänfte auf den Schultern tragend.
Hoch über den Köpfen der Menge erblickte ich den allerersten Welfie, dessen Kleidung meine Augen nicht tränen ließ und mir keine Zahnschmerzen verursachte.
Sein dunkelblauer Samtumhang wurde von einem schwarzen Gürtel gerafft und war mit schwarzen Rändern verziert, doch wenn sein Geschmack in Kleidungsfragen auch recht eintönig zu sein schien, machte sein Geschmack in Sachen Schmuck dies mehr als wett. Auf dem Kopf trug er eine gehämmerte Silberkrone mit einem eingefassten Diamanten von solcher Größe, daß er ihm ständig den Hals nach vorn preßte. Die Finger waren vor lauter Ringen nicht zu sehen, und als die Sänfte stehenblieb und er den Saum seines Umhangs raffte, um auszusteigen, erblickte man Schuhe, deren Preis wohl das Lösegeld eines Königs hätte erzielen können.
Vielleicht sogar noch mehr. Denn niemand würde so viel ausgeben, um König Steffan von Gladderadatsch zurückzukaufen.
Ich erinnerte mich, was Grym mir gerade mitgeteilt hatte, und schaute an die Stelle, an der der Name dieses Welfies in den Umhang eingestickt sein müßte. Tatsächlich, da war es ja, in Silberfäden gearbeitet, reichlich mit angenähten Diamantsplittern durchwirkt. Das Ganze sah aus wie ein Drache, der gerade versuchte, in sein eigenes Ohr hineinzukriechen.
Der stattliche Welfie schritt auf die Ruine zu. Wir drei erhoben uns langsam, wobei wir stets ein Auge auf die Bogenschützen hatten - ich hoffte nur, daß sie unser Zeichen der Friedfertigkeit auch tatsächlich in den richtigen Hals bekämen. Und daß sie keine Dummheiten machten.
Dem Welfie im Samtumhang folgte ein Adjutant mit Gryms geliebtem Schwert auf einem weißen Samtkissen. Ich spürte, wie die Magik in der Klinge nach mir rief. Und ich hörte den armen Grym auch leise wimmern, voll des Verlangens, endlich wieder Hand an Grabräuber zu legen.
»O Kendar«, zischte Grym, wie wir dastanden, im Mittelpunkt von hundert kalten grünen Augen, »kannst deine Magik du nun nicht einmal in uns’rer Sache nutzen? Es braucht ja nur genug der Ablenkung zu sein, daß ich mein edles Schwert ergreifen und ein’ger Welfies Gekröse durchbohren kann, bevor wir des Verderbens sind.«
»Ich dachte, du hättest es inzwischen begriffen«, erwiderte ich aus dem Mundwinkel. »Ich kann das Zeug einfach nicht kontrollieren!«
»Nein, nein, dem ist nicht so«, widersprach er. »Denk doch mal nach, o Meister. Dein Zorn war es, der heraufbeschwor die Macht, sie dienstbar dir zu machen. Nun bitt’ ich dich, erzürne dich in aller Schnelle, auf daß wir dieses Welfiepack atomisch wohl in Stücke reißen und diesen unheimlichen Wald verlassen mögen.«
»Mein Zorn …« Ich bin nicht so blöd, wie alle Welt mir ständig einzureden versucht. Ich meine, das hoffe ich jedenfalls. Auf
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