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Esti (German Edition)

Esti (German Edition)

Titel: Esti (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Esterházy
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deutschen Wörtern ist zu praktisch, es ist darin keine Leidenschaft, kein Saft. Bei einem deutschen Wort vermag er nicht in Tränen auszubrechen, nicht zu erröten, sie demütigen ihn nicht, er kann nicht nach ihnen ringen. Die deutschen Wörter widersetzen sich ihm nicht: Sie erfüllen ihren Zweck, wenn sie ihren Zweck erfüllen. Er wählt den Zweck so, dass sie ihn erfüllen.
    Das andere (Unangenehmere, weil er dessen Grenzen nicht spürt, und zwar gerade infolge des Problems selbst): das unterschiedliche Verhältnis der deutschen und der ungarischen Wörter zu den Begriffen, zur Begrifflichkeit. Die unterschiedliche Rolle von Abstraktem und Konkretem. Er kann schwer ermessen (begreifen), was letztlich mit Händen zu greifen daraus folgt, dass das Ungarische keine philosophische Sprache hat. Es fehlen nicht nur Wörter, Fachbegriffe, vielmehr fehlt die in der Sprache verrichtete Arbeit. Folglich entstehen andere Bewegungen, Reflexe. Auch andere Möglichkeiten. Überhaupt lässt die Tatsache, dass die Verwendung der ungarischen Sprache (oder die Schriftlichkeit) relativ neu ist, sagen wir, verglichen mit dem Französischen, Englischen, Deutschen, einen größeren Spielraum (macht man zwischen Spiel und Arbeit jetzt mal keinen Unterschied), die nicht starken Regeln, Wortstellung und Satzbau und Verbalzeiten können freier über Bord geworfen werden. Die ungarische Ordnung erhält eine persönliche Färbung. Das ist freilich ein Widerspruch. Das Deutsche würde an so einem Widerspruch leiden, das Ungarische planscht darin (und bemerkt es nicht einmal, was freilich nicht zu seinem Vorteil gereicht).
    Kleine böse Novelle. Das Deutsche würde hier gewiss unverzüglich die philosophische Dimension des Bösen erwägen. Das Böse, das Schlechte – prompt sind wir bei der Schöpfung, das heißt, ob Adams Apfel wurmstichig ist; auf Deutsch ist sofort von den Letzten Dingen die Rede, alles wird sofort groß und bedeutend. Oder klein, denn auch die Beschreibung des konkreten Apfels ist sofort zur Hand. Und der Unterschied zwischen den beiden Äpfeln ist klar. Das heißt, es herrscht Ordnung. Das Deutsche liebt die Ordnung, die Unter- und Überordnung. Es mag die Mäßigung. Zittert vor seiner eigenen Maßlosigkeit. Auf Ungarisch gibt es kein Maß, so dass die Ungarn auch gar nicht ihre entsetzliche Maßlosigkeit erkennen. Für sie ist Maßlosigkeit großartig, herausragend, ein Zeichen von Talent. Die selbstquälerischste diesbezügliche Kritik wäre, sagen wir, »barocke Opulenz«.
    Wie denke ich eigentlich darüber?, dachte Esti und strich über seine Notizen. Er mochte es, Papier zu streicheln. »Ich habe – allein – gegen das sechste Gebot gesündigt.« Oder auch nur zu berühren. Mit ihm in Kontakt zu kommen. Obwohl es für einen Beobachter eher so ausgesehen hätte, als segnete er die Blätter; schwarze Messe.
    Kurzum, aufgrund der vergehenden Zeit scheint in den Schriften unvermeidlich ein Quäntchen Beleidigtsein zu stecken, gar nicht in ihnen, vielmehr hinter ihnen, ein ungewolltes Herumjammern (Larmoyantheit), und das werde von der Bosheit verdeckt. Eine kleine Bosheit, das ist wichtig. Also nicht blutrünstige Brutalitäten, nicht dass Konjunktive zu Schwertern geschmiedet würden oder, noch besser, zu Hämmern, und er würde so lange auf den Schädel seiner Mutter einschlagen, auf den Schädel seiner geliebten Mutter, auf die Stirn, das Kleinhirn und, nur sehr schwer die ideale Oberfläche findend, die Schläfen, bis … nun, wir wissen, wie diese Hämmereien ausgehen, nein, das wäre ihm zu viel, fremd, in der jetzt entdeckten Vergänglichkeit der Zeit liegt weder so viel Aggressivität noch so viel Beleidigung. Es wäre sogar übertrieben, seine in gesegneten Umständen befindliche Frau mit einem Goethe-Zitat die Treppe hinunterzustoßen. Als Eisenstein-Paraphrase, nicht wahr. Warum übrigens wäre seine Frau in diesem Alter schwanger? Aber gerade darum geht es doch, verdammt nochmal!
    Er denkt lieber daran, wie er jemandem still ein Bein stellt. Dem er danach vielleicht sogar aufhilft. Vorausgesetzt, der Betreffende stürzt sich nicht unglücklich zu Tode. Denn die kleine Bosheit birgt (verbirgt) immer auch die große, das macht ihren Reiz aus. Oder in der Straßenbahn mit seinem Stock der Jugend auf die Beine schlagen, die Waden, wenn sie keinen Sitzplatz anbieten oder die consecutio temporum inkonsequent verwenden.
    Esti kreiste wie ein Raubvogel (oder wenn nicht Vogel, sondern zum Beispiel Tiger,

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