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Esti (German Edition)

Esti (German Edition)

Titel: Esti (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Esterházy
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bekannte Parabel vom Hunde- und Wolfleben. Und tatsächlich, Kornéls Verhältnis zum Zaun, zum Gartenzaun konnte man nicht dramatisch nennen. Im Zaun sah er nicht die Einschränkung seiner Freiheit, ich weiß gar nicht, was er in Wahrheit, dort, drinnen, über ihn dachte. Obwohl. Obwohl Esti bei Geräuscheinwirkung (siehe da, hier herunter haben wir die Metaphysik geschraubt), wenn niemand im Haus war, er also vergebens immer wieder und immer verrückter gegen die Tür sprang, gegen die Scheibe aus Glas, kein Herz weit und breit, das sich erweichen ließ – obwohl er dann oft ausbüxte; ein Zaun kann niemals so perfekt gemacht sein, dass ein Kornél Esti kein Schlupfloch fände. Er kann sich durch unvorstellbar enge Spalten hindurchquetschen. Die Nachricht vom Verlust ließ, auch für mich überraschend, den Herrn des Hauses kalt. Bai, Pussikät, bai, lieber Kornél, es war schön, es war gut, das war’s. Ich könnte geneigt sein, diese Blasiertheit für Bosheit oder Grausamkeit oder, quasi umgekehrt, für eine Manier zu halten, doch nein: Es war bloße Gleichgültigkeit. Und wenn er gefunden wurde, und bisher war er immer gefunden worden (Esti kam aufgrund seines geselligen Wesens mit jedem ins Gespräch, und ohnehin war die Telefonnummer in sein Halsband eingraviert), riefen wohlwollende Menschen an, und der Herr des Hauses log gleichmütig, wie dankbar er für die Hilfsbereitschaft sei. Ein schlechter Hund, er geht nicht. Dann flüsterte er ihm ungewollt vertraulich ins Ohr: Wähle nur ruhig die Freiheit, lieber Kornél. Esti hüpfte vor Freude.
    Das offene Tor an sich führte Esti nicht in Versuchung, woraus wiederum hervorging, dass er im Zaun nicht unbedingt einen freiheitseinschränkenden Faktor sah. Ich nehme an, er dachte auch gar nicht über so etwas nach; heutzutage ist das nicht üblich. In der Diktatur kommt ein böses Ungeheuer mit borstigen Pranken und stiehlt uns die Freiheit. Eine klare, gut überschaubare Situation, die Freiheit ist dahin, man kann versuchen, sie zurückzuerlangen, vorwärts, Jungs, vorwärts Kurutzen!, oder man kann, wenn das auf keinen Fall möglich ist, weil es auf keinen Fall möglich ist oder wir in unserer notwendigen, vielleicht angeborenen Mutlosigkeit, im ungünstigeren Fall Schisserfeigheit, urteilen, dass es auf keinen Fall möglich ist, dann, sagen wir, ihr Andenken bewahren oder an die nächste Generation weitergeben und so weiter. In der Diktatur ist die Situation der Freiheit also sicher, ihr Prestige wächst stetig, durch ihr Fehlen ist stetig mehr von unserem Elend erklärbar, das ganz persönliche und auch das ganz universale, sie ist wie ein Bissen Brot, man muss nur aufpassen, dass uns die schmutzig süße Flut des Selbstmitleids nicht hinwegspült. (Doch, sie spült uns hinweg, hier spült sie uns hinweg.) Im üblich zu nennenden europäischen Alltag halten wir die Freiheit für selbstverständlich, wir sehnen uns nicht nach ihr und halten keine Lobreden auf sie, wir kümmern uns nicht um sie, wie wir uns auch nicht ums Luftholen kümmern, besonders nicht in einem Haus mit Garten. Die Freiheit ist heute in Europa, dort im Garten, vor dem sich öffnenden Tor, doch nicht einmal vor dem sich schließenden, kein Thema. Vom uralten Kampf zwischen Freiheit und Sicherheit beschäftigt uns derzeit Letztere. So wie Kornél Esti das neureiche Krachen der Böller oder allgemein die himmlische Elektrizität mit Angst erfüllten, so erfüllt uns … was eigentlich?, nun, die Welt mit Angst, dass wir uns überhaupt nicht auskennen, als Fremde umherirren und die Erhabenheit der aufgeklärten Rationalität, die stark zerschlissene, verblichene Erhabenheit vergebens ist, wir leben im Dschungel, und dort ist ein gewisses vorsichtiges Vorgehen ratsam. Ist man aber frei, ist man nicht vorsichtig. Wurde man aber erschreckt, ist man dumm, wenn man es nicht ist.
    Esti erfüllte die Rolle eines zuverlässigen Haushüters nicht im Geringsten vorschriftsmäßig (wie wir sahen, hatte er ein genetisches Alibi), jeden, ob glücklich oder unglücklich, empfing er mit überbordender Freude, nicht bloß höflich, sondern mit einer Freude, die der Person zu gelten schien, so dass der Ankömmling nicht nur jenen Dschungel vergaß, sondern annehmen musste, er sei Tarzan (!). Ja, Kornél Esti wedelte glücklich mit dem Schwanz. (Das sind einfache Dinge.) Üblicherweise bellte er nur den Postboten an, einen netten jungen Mann, der Estis Getobe erschrocken erstarrt betrachtete, und scheinbar

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