Esti (German Edition)
merken. Ernste Sätze. D. hatte etwas von Goethes Ernst erwähnt. Dass der spielend jeden schlägt. Es geht mir auf den Sack, das ist ernst, vor allem von einer Frau, aber Goethe ist ernster, das stimmt. Ernst Goethe. Der Ernst ist so selten wie ein weißer Rabe. D. hat recht, wenn er sagt, was man nicht offen auszusprechen wagt oder vermag, wird verwitzt, und so erhält es seine Gestalt. Kompliziert.
Vergeblich stützen die Fakten diesen möglichen Beginn, Esti kam nicht in Versuchung; die Wirklichkeit genügt als Argument niemals. Das weiß die an den Zitzen Wittgensteins trainierte Bestie wohl (wir trainieren nicht an Zitzen, sagte später kalt der Chefredakteur, auf den wir gleich kommen), dass es nicht für alles Worte gibt, es gibt nur das, wofür es Worte gibt, und doch gibt es manchmal Worte und dennoch nichts.
Die leise Stimme der ungeschlachten Frau machte sie noch gewöhnlicher, ordinärer. Esti lief es heiß und kalt den Rücken hinunter, so sehr ekelte er sich. Alles an der Frau verstärkte diesen Ekel, besonders die bis unter die großen, euterartigen Brüste gezogene Trainingshose, die beim Schoß, das magische Dreieck markierend, »einschnitt«; der völlige Mangel an Erotik, dachte Esti, das ist das Abstoßende. Schlampenkürbisgemüse, schien er jetzt gehört zu haben. Nicht zu fassen. In seiner Tasche wühlte nach dem Bleistift seine Hand. Selbst den zweifelhaften Satzbau schob Esti auf die grauenvolle Frau.
Pack zusammen und verschwinde aus meinem Leben, hatte noch im vergangenen Jahrhundert eine Frau zu Kornél Esti hier zu Pécs gesagt. (Zu Pécs, ist dieses »zu« richtig?, denn für Klausenburg ist es angeblich nicht richtig, da tragen wir nur etwas Farbe auf, zu Klausenburg, damit es ein wenig Patina bekommt, von Siebenbürgen brauchen wir ausschließlich die Patina, aber Patina gibt es keine, nur schweigen wir darüber, über diese Dinge, getrieben von der Feigheit und unbezwingbaren Sehnsucht nach Lüge; das wahre Siebenbürgen interessiert kaum einen, die Siebenbürger inbegriffen; wir jagen unseren Träumen hinterher, die mal bunt und breitwandig, mal leer, mal stumm sind, doch selbst in letzterem Fall sind sie ungarisch synchronisiert.) Auf das Verschwinde-aus-meinem-Leben zuckte Esti empfindlich zusammen, wie gut wäre jetzt ein bisschen plus quam perfectum tempus!, war Esti zusammengezuckt, was für ein entsetzlicher Satz!, und schnitt eine Grimasse.
Und schneide keine Grimassen, ich scheiß auf deine Sätze! – Esti grinste, als wäre von den Sätzen der Frau die Rede, egal. Stilanalyse ist das Ende der Liebe, so fasste er die dürren Erfahrungen seines jungen Lebens weise zusammen. Die Frau las in seinen Gedanken.
Fick deine Sätze!, kreischte sie und bewarf Esti mit dem, was sie in die Finger kriegte: ein Neues Transdanubisches Journal . Das Neue Transdanubische Journal ist als Wutausbruchsableiter nicht geeignet, zumindest nicht so: Sanft sank es vor Esti nieder. Schwebte. Die Hand des jungen Mannes in der Tasche bewegte sich.
Rühr dich nicht! Versuch nicht, es aufzuschreiben! – Die Frau brach in Tränen aus. Esti fühlte kein Mitleid.
Der Chefredakteur hatte ihn gebeten, auf irgendeine Weise das Wort pécs im Text unterzubringen. (Nun, das ist hiermit geschehen, Esti blickte auf den Satz zurück.) Mir persönlich würde es viel bedeuten, hatte er gesagt und wieder in seinem neuerdings sprießenden, exorbitanten Bart gewühlt. Hat er ihn sprießen lassen, um darin wühlen zu können?, Esti schüttelte den Kopf, während der Redakteur zweimal wiederholte: Mein lieber Freund, mein lieber Freund. Esti mochte diesen jetzt am ehesten an Theodor Herzl erinnernden Mann. Theodor, nur ruhiger, oder Táncsics. Noch ruhiger. Bin Laden. Ein chassidischer Bäcker, ein orthodoxer Priester. Ihn packte eine unwiderstehliche Sehnsucht, den Bart anzufassen. Also fasste er ihn an. Wie Draht. Wie Rosshaar in der Matratze. In der Matratzengruft. (Das lese ich immer als Zengruft.) Irgendwie fürchtete er wegen dieses Barts um den Chefredakteur. Der Bart schien etwas zu verbergen. Was konnte mit diesem Menschen geschehen sein, Esti wiegte den Kopf wie einer, der sich mit den Geheimnissen der Seele beschäftigt.
Kornél Esti musste der letzte Mann in Ungarn sein, der Männer noch siezte. (Zu Kolozsvár weiß man noch gut – zu ihrzen.) Nach der Lesung gingen einige in ein Gasthaus, oben, über der Stadt. Unten wie lauter Glühwürmchen die Lichter der Stadt. Esti sang leicht das Lob Pécs’,
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