Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Esti (German Edition)

Esti (German Edition)

Titel: Esti (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Esterházy
Vom Netzwerk:
warum das Alte auf dem Neuen lasten sollte, auf diesem neuen Menschen seyn alter Fehltritt, da doch das Machen der Schulden anno als Jude geschehen sey, er dagegen durch das Taufwasser mit Christi Hilfe eyn neuer Mensch ward, weshalb er keyne Schulden habe, weyl er keyne haben könne, er also nicht im Schuldturme festzuhalten sey. Oh, der spielerische König! János Ernuszt, so hieß der glückliche Jude, er stieg dann sehr hoch auf, ward Schatzkämmerer, Kammergraf und Ban von Slawonien. Ganz so, als gäbe es gar eynen klitzekleynen Funken Wahrheyt in der Mátyás-Anekdotenwelt! Zur gleychen Zeyt erließ er den Bürgern von Tyrnau die Zinsen der »Judenschulden« (schönes Wort) beziehungsweyse verbot in Pressburg, dass die Juden auf Grundstücke Darlehn gaben.
    Wo nur haben wir wie einen herrenlosen Säugling – heftig, herrenloser Säugling, das ist heftig – die Handlung verlassen? Ach ja, noch immer stand Mátyás dort vor dem Spiegel, der guten Ungarn guter König – jetzt also doch Mátyás, nicht ich!?, Herrgott nochmal, ich kann das nicht entscheyden, die Sprache wackelt, also wackelt das Land (oh, das Land, flüsterte jene heyße Stimme, Teurer, das ist nur eyn Land …) –, er sah, dass er eynen schönen gebührlichen Kopf hatte und allemal eynen schönen Körper, von rosig weyßer Farbe wie es über Alexander den Großen heyßt.
    Daran wird er heute noch denken.
    Seyt seyner Kindheyt ist er sehr behände und hat eyne starke Brust, eyn großes und mutiges Herz, fürtreffentlich in Tugenten und nach Ruhm und Ehr begirig.
    Mag ja seyn, dass er höchst schnell gewesen ist, jetzt aber ist er derart verspätet – scher sich doch endlich diese elende Eyerei zum Teufel, scher sie sich von der leserfreundlichen Landstraße der Vereinfachung, ganz zu schweigen davon, dass mir die Arany-Zeile nicht aus dem Kopf geht: Lange vereynt uns eyn bräutliches »Du« –, dass es Mátyás im Kopf brummte, im Hintern zwickte! Wie geschwind sollen wir jetzt reiten, wie der Wind oder wie der Gedanke? Schließlich war die Straßenbahnlinie 1 die vernünftige und clevere Lösung, denn mit der 2 war es zwar kürzer, doch wegen des U-Bahn-Baus hätte man da um- und vielleicht sogar in den Bus steigen müssen, und dazu hatte er, entgegen der über ihn kursierenden, vom Plebs inspirierten Legenden, keine Lust. Er musste die Vorortbahn nach Csepel erreichen, zum ersten Mal in seinem Leben; er wollte in ein Studio, und das Studio, in dem die Aufnahmen stattfanden (unter Leitung des hervorragenden – Epitheton ornans – György Magos), war in Csepel, auf dem Gelände der ehemaligen Csepel-Werke.
    Mit der Szentendrer Vorortbahn zur Árpádbrücke, das galt noch nicht als echtes Inkognito-unters-Volk-Mischen – oje, jammerte der Truchsess erschrocken, und man schickte nach Hilfe bei den Heilkräutern und Feldschern, oje, der König hat die Volkskrankheit, er krümmt sich, hat Schweißausbrüche, die Stirn ist voller böser, bleicher Flecken, er stöhnt und leidet, bis Rom stirbt er uns usw., man könnte das ordentlich ausarbeiten –, er fuhr regelmäßig auf dieser Strecke, statt im Umhang im Sakko usw., doch den ganzen Weg auf dem Hungariaring schaute er sich um wie ein Tourist; bis zum Volksstadion kannte er die Gegend noch (Fradi-Spiele, Vatererlebnis), so dass die Veränderungen danach noch deutlicher waren.
    Später Nachmittag, Rentnerzeit, wenige waren unterwegs, er konnte in den Linien der Verkehrsbetriebe ruhig sitzen, seine ergatterten Sitzpositionen bedrohte zunehmend seltener Gefahr; seinen nicht maßgeblichen Berechnungen zufolge stand er in Ungarn (spezifisch) immer noch am häufigsten auf. Er betrachtete den Boulevard, die neuen, unbekannten Glasgebäude, postmodern, und unmittelbar daneben eine heruntergekommene Art Lager und ein chinesisches Restaurant; ich muss wohl kaum sagen, dass er unterdessen über Volk und Nation nachdachte. Er hatte diesen Subjekt-Objekt-Kram schon satt, der andauernd bösartig falsch ausgelegt wurde, den man missverstehen wollte und deshalb auch missverstand – warum muss man mit Absicht dumm sein?, egal –, noch dazu stellte man es so hin, als wäre er die Devise einer ganzen so und so, doch eher so, ihr versteht!, gearteten Richtung, dabei propagierte das kein Mensch, sagte es meiner Meinung nach auch nicht, außer ihm und Márai. Wie komme ich nur darauf, dachte er und grüßte einen übelgesichtigen alten Mann zurück, der ihn trotz des Sakkos – oh, Mátyás’ Sakkotrotz –

Weitere Kostenlose Bücher