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Esti (German Edition)

Esti (German Edition)

Titel: Esti (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Esterházy
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erkannt haben musste, da er ihm freundlich zunickte.
    Er umrundete die halbe Stadt, aber er fuhr ruhig und stetig, er hätte auch lesen können, doch er glotzte nur neugierig – König Mátyás war ein großer Neugieriger, jetzt freilich käme ein »eyn« gut! –, beim Palast der Künste kreuzte er die Vorortbahn. Gerade zwischen zwei Regenschirmverlusten traf ihn der Sprühregen, Glück muss man haben. Hier sahen die Wagen ein wenig anders aus als bei der »heimischen« Vorortbahn, doch da er es versäumte, Notizen zu machen – ah, Euer Gnaden machen Notizen!, sagt Beatrix mit ihrem neapolitanischen Akzent, und ich dachte, dass wir jetzt, und sie drückte sich mit einem direkten volkssprachlichen, eine Corvina nicht tolerierenden Ausdruck aus; bei Móricz steht in ähnlicher Lebenslage in etwa Folgendes: Vögele ruhig, mein gnädiger Herr, vögele meine gnädige Frau –, erinnert er sich nicht an die Vorortbahnkonkreta.
    Sogar zweimal wurde sein Fahrschein kontrolliert, gerissen schlichen sie sich von beiden Seiten an, ließen ihm keine Chance, er freute sich darüber, manchmal empfand er die Wichtigtuerei um Fahrscheine und Fahrscheinlöcher als eine überflüssige Anstrengung. Und geradezu empörend fand er – er würde auch mit dem Kämmerer oder dem Hofnarren darüber sprechen – die würdelose Pingeligkeit um die Übertragbarkeit der Sammelfahrscheine. Ihm gegenüber saß gerade eine Mutter mit ihrem Kind, das etwa fünfjährige Kind (auch das habe ich vergessen!, wie alt ein Kind ist, wenn es so groß ist, schon egal) hatte die blassen, feinen Züge seiner Mutter; man sah ihm an, was daraufhin geschah. Das Folgende geschah: Mami, zwei Fragen. Ja, mein Kleines. Eins, es streckte den Daumen aus, wann steigen wir aus? An der Endstation, mein Kleines. Der kleine Junge nickte, sein Zeigefinger sprang wie eine Feder nach vorn, was ist das, die Null? Die Mutter streichelte dem Jungen erschrocken den Kopf. Der nickte erneut, ich verstehe, sagte er kaum hörbar.
    Er hält sich nicht für steif, einen steifen Menschen, trotzdem hatte er zuvor mit ängstlicher Genauigkeit auf dem Stadtplan studiert, wohin er musste. Und doch, als er aus der Vorortbahn stieg, sich kurz orientierte, da ist Norden usw., loslief, war seine Verkleidung umsonst nahezu vollkommen, sein Gang im Besitz des dank Plan erlangten Wissens selbstbewusst, irgendwie musste er schief gehen (oder er benutzte ein ausländisches Parfüm), denn innerhalb von fünfzig Metern boten ihm sogar zwei ihre Hilfe an, sie schossen mit einem »Wohin wollen Sie, kann ich Ihnen helfen, Herr Künstler?« beziehungsweise einem »Haben Sie sich verlaufen?« auf ihn zu. Er wimmelte sie höflich lächelnd ab, auch seine Höflichkeit war verdächtig. Schon in der Vorortbahn war er das Gefühl nicht losgeworden, dass er beim Aussteigen niemanden vorlassen müsse, solle der Stärkere gewinnen. Während er ging, blickte er in ein spiegelndes Schaufenster, tatsächlich stach er leicht heraus, er sah die König-Mátyás-Silhouette, sein weißes Haar, er hatte nicht gewusst, dass es derart weiß war, der bei seinen Schritten wippende Überzieher, die obligate Aktentasche, ein anarchistischer Beamter, etwas in der Art.
    Er ging durch das Triumphtor der Csepel-Werke. Eine eigene Welt, er betrachtete sie mit offenem Mund. Ausgestorben und lebendig, Vergangenheit und Gegenwart, alles auf einmal. Sozialistische Kulissen, die da sind und auch nicht da sind. Er überquerte verwaiste Eisenbahnschienen, am Stoppschild würde er links abbiegen müssen. Zwei Frauenzimmer kamen ihm entgegen, von weitem sah man, dass alles an ihnen schrill war, ihr Gang, ihre Kleidung, ihre Sprache, und auch, dass daran überhaupt nichts auszusetzen war. Sie waren sehr stark geschminkt. Nichts ist so schön, dass es nicht doch einen Haken hätte: Nun, auch diese schienen verrufene Huren zu sein. Zumindest tippte er darauf, Kollegen, sagte er verständnisvoll zu sich (ihm sein Herz). Dennoch vereint uns kein bräutliches »Du«. Dieses Gefühl hatte er.
    Es war Vormittag, die Frauen waren also nicht auf der Jagd, ihre Arbeitszeit hatte noch nicht begonnen, also gingen sie irgendwohin. Vielleicht ins Tesco. Da aber blieben sie stehen, im Blick der Größeren, der Schöneren veränderte sich etwas, sie nahm doch den Mann wahr, umsonst war er verkleidet, der von den Herrschaften ausrangierte Boss-Mantel erinnerte an den königlichen Umhang, und seine Erscheinung war, wenn auch nicht königlich oder

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