Esti (German Edition)
den Kopf. Und in Eisenau eröffnet die erste Steinkohlemine des Mecsekgebirges. Esti hob bescheiden den Kopf. Man läutet zur Frühmesse, der Pfarrer wartet, sagte die Frau und flog davon. Als flöge alles und nur er säße. 1780 wird die Stadt in den Rang einer Königlichen Freistadt erhoben. Gott sei Dank, seufzte er. Neben den Illyrern muss ich auch noch die angesiedelten Deutschen erwähnen, ebenso die Serben. Ein junger, muskulöser Mann, auf der Schulter eine gewaltige (oder ist auch die exorbitant?) Hacke; es ist nicht wahrscheinlich, dass er zur Messe geht. Nicht dass man mit einer Hacke nicht zur Messe gehen könnte. So sind wir auch weiterhin gezwungen, das geahnte Wesen der Stadt in Metaphern zu denken, nach Art des Universums, in dem die Stadt ihre repräsentative Welt hat, ihre auf Täuschungen basierende Halbwelt und furchterregende Unterwelt; als lebendigen Körper, dessen Wach- und Schlafzustände, Anatomie, Funktionen wir kennen, während wir mit Grauen an die unberechenbaren, von Schreckensnachrichten und Legenden umgebenen dunklen Tiefen ihrer Eingeweide denken; oder wir versuchen sie zu lesen wie einen uns überlieferten Text, der irgendeine Bedeutung hat, in dem nur Bruchstücke in unserer Sprache geschrieben sind und alles andere übersetzt werden muss, in fremden Sprachen, wenn nicht gar unverständlichem Kauderwelsch verschlüsselt ist. Wir können es natürlich mit individuellen Lesarten probieren, doch die trunkenen Wege des Flaneurs, die »Sprechakte« des Spaziergängers, die Rhetorik der Schritte weben einen Text, den er selbst nicht lesen kann.
Er hat ihn doch nicht etwa vergessen und ist direkt in die Redaktion gegangen?! Schluss mit Ledersesseln und Gackeiern! Ein Filmschnitt wie bei Mándy, und Esti stand in der Wohnung des Chefredakteurs. An seinem Hintern spürte er noch die Kühle des Gehwegbetons. Der Chefredakteur lag auf dem Diwan, in Sakko, Krawatte und bluttriefend. Sonst nichts, nackt. Doch noch weniger als nichts, neben ihm eine Frau, Esti hatte von gestern Abend eine undeutliche Erinnerung an sie, seine Frau?, in der einen Hand ein blutiges Messer, in der anderen Hand die Mannheit des Chefredakteurs. Wie in einem japanischen Film. Und dann die ziselierten, metaphysischen Gärten! Wie viel Wildheit, Erhabenheit und Feinheit auf einmal. Sicher, vielleicht überall. Sagen wir, ein Kurtág-Akkord versus das Massaker auf dem Kossuthplatz 56. Esti blickte bestürzt auf den fürchterlich verstümmelten lieben Menschen. Der Frau schenkte er keinerlei Aufmerksamkeit.
Was fangen Sie nun an, meine Engel?, fragte er seidig. Ich wusste es, ich wusste es. Etwas musste passieren. Aber warum haben Sie ihm denn nicht den Bart abgeschnitten, er wandte sich doch an die Frau. Die zuckte die Schultern.
Ich koche einen Kaffee, sagte sie und trocknete beim Hinausgehen das Messer an ihrem Jeansrock. Ganz schön groß das Messer, Donnerlittchen!
Und was machen Sie mit dem …?, rief Esti ihr hinterher; er wollte das Wort Schwanz nicht aussprechen, schließlich waren das hier pannonische Hänge.
Das überlassen Sie ruhig mir.
Wenigstens schwingt sie den nicht mehr … Das ist kein Spielzeug.
Der Chefredakteur stöhnte blubbernd.
Entschuldigung, ich habe Sie ganz vergessen … Ich weiß auch gar nicht, was ich sagen soll. Worte sind so seltsam, wenn Blut fließt. Höchstens, dass ich wärmstens – der Chefredakteur wurde erneut rot –, entschuldigen Sie, das ist wirklich übertrieben, dass das Gehirn so auf etwas fixiert ist, uninteressant, ich also wärmstens diese Kulturhauptstadtbewerbung unterstütze. Ist das in Ordnung? Tut es weh? Ihre Lenden sehen aus wie ein Baggersee voller Blut. Nur die Brille verdirbt das Bild. Oder sind Sie erleichtert? Nun, Sie sind doch nicht von Ihrem Schwanz gesteuert worden. Oder doch? Sollte ich Sie falsch eingeschätzt haben? Wie das Blut klebt … Vielleicht müsste ich mich praktischer verhalten. Sie liegen nicht im Sterben, aber gut geht es Ihnen auch nicht. Wollen Sie verbluten? Jetzt, vor Redaktionsschluss? Das zeugte nicht von großem Charakter. Ich kann mir natürlich vorstellen, was Sie in diesem Moment von klassischen, traditionellen Werten halten. Wie Mut, Selbstaufopferung, Anstand, Treue, Vaterland. Obwohl das Blut zum Vaterland passt. Doch über ein, zwei Dinge müssen auch Sie jetzt nachdenken, nicht wahr? Kann es sein, dass ich zu viel rede? Er hat so gut angefangen, wissen Sie, mein Tag. Früh vor dem Hotel, auf dem Bürgersteig. Sie haben
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