Esti (German Edition)
mir so schön gefehlt. Als wären wir Freunde. Auch Sie sind keine dreißig mehr … Ein leichter Morgen, so ein impressionistisches Schweben, um vollends heiße Luft zu reden, dieses würzige, erregende Mediterrane. Man müsste den Gebrauch der Worte »mediterran« und »pannonisch« in Texten über Pécs verbieten. Die Kulturabteilung der Stadtverwaltung. Oder Sie persönlich. Schmuckstück im Mecsekgebirge.
Um den Mund des Chefredakteurs blutiger Schaum.
Es ist schlimm, ich sehe. Dann kommen die Phantomschmerzen. Obwohl … auch das Huhn läuft noch ohne Kopf im Hof herum. Vielleicht scharrt es gar. Wie der große Philosoph sagt, auch wenn morgen die Welt untergeht, heute pflanze ich noch den Walnussbaum. Sicher, das hilft Ihnen jetzt vielleicht nicht direkt.
Früher war der Mittelpunkt von Kornél Estis Denken letztlich die Literatur gewesen. Was sie ist und wie wichtig sie ist. Wie wichtig sie in ihrer Unwichtigkeit ist. Und das Verhältnis zur Wirklichkeit. Gesicht und Maske. Meine Fiktion am Joliot-Curie-Platz mit Blick auf die Donau tauschte ich gegen die Fiktion am Királyhágóplatz mit Blick auf die Donau. Neuerdings sann er eher über das Verhältnis von Ernst und Unernst nach. Er hätte ungern auf einen von beiden verzichtet. Auf die Grandiosität der Bagatellen. Möse vom Mecsek, das müsste noch in den Text, im Ernst.
Da fiel ihm irgendwie seine Mutter ein. Was für eine grantige Megäre sie auf ihre alten Tage geworden war. Eine Marketenderin. Wie sie seinen Vater ununterbrochen quälte. Sie redete und redete, sie wusste, wann es zu viel war, und so weit ging sie auch. Wie eine Maschine. Megärenmaschine, die auch noch leidet.
Komm nur her, mein Kleiner. – Esti liebte es, wenn sie ihn so ansprach, je größer er wurde, je gekrümmter seine Mutter, desto mehr. Wie ein Riese, so schaute er auf seine Mutter hinab. – Komm her. Hier ist dein Vater. Na also. Dann frage ihn jetzt, mein Kleiner, ob er mich liebt. So direkt, ob er mich noch liebt.
Aber Mama …
Frage ihn wortwörtlich. Und sie begann, an Estis Hemdsärmel zu zerren. Sein Vater senkte den Kopf.
Aber Mama.
Nichts Abermama. – Da senkte auch Esti den Kopf. – Typisch, Vater und Sohn, Estis Mutter schnappte verächtlich nach Luft.
Was für eine Schamlosigkeit, ich frage nichts, sollen sie mich doch mit ihrem Gefühlsleben in Ruhe lassen. Am Ende kommen Sie mir noch mit Sex! Fünf Jahre habe ich kein Wort mit meinem Vater gewechselt, seit einem Monat sprechen wir wieder miteinander, und dann gleich das?! Fünf Jahre, das ist eine lange Zeit! Esti richtete sich stolz auf. Seine Mutter da unten erschien ihm noch kleiner.
Zerren Sie nicht an mir, Mama, ich bitte Sie.
In Ordnung, mein Kleiner. Ich zerre nicht an dir. Du hast recht. Ich zerre nicht an dir. Nur frag schön deinen Vater, ob er mich liebt.
Natürlich liebt er Sie.
Du sollst nicht helfen. Frag ihn!
Ich frage ihn nicht.
Sein Vater hauchte vor sich hin, frag mich.
Esti wusste, dass sie ihn bloß benutzten, doch ihn interessierte die Szene mehr als sein Stolz. Vater. – Sein Vater regte sich langsam, mit großer Bühnenroutine. Ein eleganter ungarischer Herr aus dem zwanzigsten Jahrhundert, verschlissen, fleckig. Sein Blick wie der von Mari Jászai und als würde er sagen, stich mir den meuchlerischen Dolch ruhig ins Herz, was führt diese Frau gegen mich im Schilde. – Vater, liebst du Mama?
Der Vater sah den Sohn lange an, als sähe er ihn jetzt zum ersten oder letzten Mal. Sie benutzen mich, dachte Esti, und deshalb hassen sie mich nachher. Als daraufhin sein Vater tonlos, als wäre es vollkommen unwichtig oder eher vollkommen selbstverständlich, sagte, nein, schossen die Arme seiner Mutter gen Himmel, als hätte Fradi ein Tor geschossen.
Siehst du!, jauchzte sie. Ich habe es ja gesagt. Jetzt siehst du es auch. Er liebt mich nicht. Du bist mein Zeuge, dass er mich nicht liebt. Dreiundsiebzig Jahre und liebt mich nicht! Bitte schön, dreiundsiebzig!
Esti lachte, hastig und leise.
Er soll noch einmal sagen, ob er mich liebt.
Ich liebe sie nicht. Ich habe es bereits gesagt. Noch einmal sage ich es nicht.
Zehntes Kapitel
in welchem Der Schoß der Natur
E r verabscheute ihn, Kornél Esti verabscheute auf einmal einen Menschen, plötzlich verabscheute er ihn aus ganzem Herzen, ich veraaabscheue ihn, ich glaube, Milán Füst hat das Wort mit langem »a« verwendet, ich veraaabscheue Sie dermaaaßen. Obwohl, aus ganzem Herzen ist nicht das richtige Wort, denn es
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