Etenya Saga - Band 1: Soyala - Zeit der Wintersonnenwende (German Edition)
ungläubigen Ausdruck in seinem Gesicht öffnete er seinen Mund, um etwas zu sagen, nahm sich jedoch zurück und verschloss schließlich seine Lippen, indem er sie fest aufeinanderpresste. Mit geneigtem Haupt schaute er vor sich hin und seine Gedanken rasten deutlich sichtbar durch seinen Kopf. Dann wanderten seine Augen die Konturen einer imaginären Mauer ab, die sich zwischen ihnen erhoben hatte, und sein trauriger Blick sagte Olivia, dass er machtlos aufgab, an sie heranzukommen.
Es tat ihr weh, ihn so zu sehen, denn sie spürte genau, wie viel es ihn an Überwindung kostete, nicht auf sie einzureden, sie nicht zu überreden, ihm zuzuhören.
Während sie gespannt die Luft anhielt, atmete er geräuschvoll ein, ballte seine Fäuste, nickte stumm und drehte sich bereits halb von ihr weg, um zu gehen. Doch er zögerte, warf ihr einen kurzen Blick über die Schulter zu und für einen Moment wich die Wut aus seinem Gesicht. Stattdessen flackerte eine Traurigkeit darin auf, die Olivia fast das Herz zerriss.
„Olivia, ich glaube, ich liebe dich“, sagte Lenno unerwartet und ihr stockte jetzt erst recht der Atem.
Sie konnte nichts weiter tun, als ihn ausdruckslos anzublicken.
Als würde ihn jemand davon überzeugen, das Richtige zu tun, nickte er erneut, drehte sich um und ging Richtung Zaun.
Olivia sah ihm hilflos hinterher.
***
Manchmal gibt es im Leben Situationen, in denen man spürt, dass getroffene Entscheidungen eine Endgültigkeit in sich tragen, die man niemals mehr revidieren kann.
Dies war so ein Moment.
***
Olivia war sich plötzlich überhaupt nicht mehr sicher, ob sie richtig reagiert hatte oder ob sie ihm nicht doch Unrecht tat. Mit jedem Schritt, mit dem sich Lenno von ihr entfernte, lösten sich ihre Zweifel an ihm auf.
Wollte sie ihn jetzt einfach so gehen lassen?
Innerlich zerrissen, beobachtete sie bewegungslos, wie er, am Zaun angekommen, abrupt stehen blieb und halblaut fluchte. „Verdammt!“ Seine flache Hand schlug dabei gegen den Zaunpfosten, an dem er, mit dem Rücken zu Olivia gewandt, verharrte.
Nein, sie musste ihn aufhalten! Koste es, was es wolle. „Aber vielleicht erklärst du es mir, bevor du gehst.“ Vorsichtig folgte sie ihm und mit jedem ihrer Schritte verringerte sich sogleich ihr innerer Abstand zu ihm.
Lenno blieb mit gesenktem Kopf am Zaun stehen, die flache Hand nun zur Faust geballt. Geduldig wartete Olivia ein Stück weit von ihm entfernt, wie er reagieren würde.
Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit, bis er sich endlich zu ihr umdrehte. Lenno schien ebenso verunsichert zu sein wie sie. Er steckte seine Hände in die Hosentaschen und lehnte sich mit einer Schulter an den Zaun. Nur kurz wich er ihrem Blick aus, dann lächelte er sie erleichtert an. „Das könnte ich natürlich tun, wenn du das möchtest.“
Auch Olivia entspannte sich wieder, denn dies war der Lenno, den sie kannte. Sie zeigte mit dem Daumen zu ihrem Haus. „Sollen wir dazu nicht hineingehen? Es wird ziemlich dunkel hier draußen“, schlug sie vor, und Lenno nickte zustimmend.
Er zeigte zu seinem Haus und antwortete: „Gute Idee, aber ich muss eben etwas holen.“
Vielleicht um witzig zu sein und um diese seltsame Spannung zwischen ihnen zu vertreiben, sagte Olivia gedankenlos: „Na, ich hoffe kein Seil, um mich zu fesseln.“ Sie lachte. Lenno nicht. Er sah sie bestürzt an.
Mit großen Schritten kam er auf sie zu, nahm sie wortlos in den Arm, vergrub sein Gesicht in ihrem Haar und drückte sie fest an sich.
Überwältigt von seiner Reaktion, blieb ihr nichts anderes übrig, als ihre Arme um seinen Körper zu legen. Es lag so viel Vertrautes in ihren Berührungen, dass sich selbst Olivias letzte Zweifel in Luft auflösten. Ihm so nahe zu sein, fühlte sich fast genauso an wie sonst auch. Aus Angst, es wäre nur ein Traum, aus dem sie erwachen würden, sobald sie sich auf irgendeine Art bewegten, blieben sie einen Moment reglos in dieser Umarmung stehen. Sie konnten nicht genug davon bekommen, den anderen zu spüren.
„Ein Seil!“, lachte Lenno leise in ihr Ohr und es hörte sich ein wenig empört an. „So etwas würde ich dir niemals antun.“ Olivia spürte einen kleinen Kuss auf ihrer Schläfe. „Eigentlich hatte ich mir eingebildet, dich auf eine andere Art fesseln zu können.“
Ja, das war der Lenno, den sie vermisst hatte, und sie lachte erleichtert auf, bevor sie ihn ein letztes Mal an sich drückte.
„Lenno?“
„Hm hm?“
Vorsichtig beugte sie sich so weit nach
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