Eternal - Die Geliebte des Vampirs
bei den Menschen Aufsehen zu erregen. In den letzten rund sechzig Jahren hatte die kleine, aber gesunde Fremdenverkehrsindustrie der Stadt dafür gesorgt, dass Geld in ihre Taschen und Essen auf den Tisch kam. Sie ermöglichte es ihnen, ihrer Lebensaufgabe nachzugehen. Ein ungelöster Mordfall in Clare Point konnte den Anfang vom Ende für den Tourismus bedeuten, der ohnehin eine unbeständige Branche war. Es war ein Risiko, das sie sich nicht leisten konnten.
»Onkel Sean, du musst die Untersuchung in die Hand nehmen«, wiederholte Fin.
»Mach ich, mach ich.« Der Polizeichef, ein Mann mittleren Alters, steckte die Daumen ins Gürtelschloss und spreizte die Ellbogen ab. »Ich nehme sie in die Hand. Und ich delegiere. Ich beauftrage dich mit dem Fall.« Er löste eine Hand vom Gürtel und stieß Fin mit einer entschiedenen Bewegung den Zeigefinger in die Brust.
»Mich?« Fin hätte gelacht, wenn die Umstände andere gewesen wären. Wenn nicht ein Toter zu seinen Füßen gesessen hätte. »Ich bin erst seit einem Tag Polizist. Du bist der Polizeichef. Du … du hast andere, die seit Jahren dabei sind.« Er zeigte auf Pete, der den Zeugen durch die Gasse zur Promenade zurückgebracht hatte.
»Pete kann das nicht.« Sean schüttelte fast wütend den Kopf. »Du weißt, dass er das nicht kann. Aber du könntest es, Fin. Du bist … du bist gut in diesen Dingen. Das ist es doch, was du die ganze Zeit tust. Du stellst Ermittlungen an. Für den Clan. Du ermittelst Mörder auf der ganzen Welt.«
Fin seufzte frustriert. »Das ist etwas anderes, Onkel Sean. Ich verfolge Menschen. Ich bleibe ihnen auf den Fersen, was auch immer sie tun. Wohin sie gehen. Mit wem sie sich treffen. Ich erstatte Bericht über das, was ich sehe.«
»Dann erstatte mir Bericht über das, was du hier siehst.« Sean heftete seinen tränenumflorten Blick auf den Toten. »Bitte, Fin«, bettelte er flüsternd. »Für den Jungen, wenn schon nicht für mich.«
Fin fuhr sich mit der Hand über das Gesicht bis zum Kinn und stieß die Luft aus. Er begriff, dass es keinen Sinn hatte, mit Sean zu streiten. Der Chief war ein guter Mann, aber kein starker. Die Enthauptungen hatten ihm etwas geraubt, und es sah nicht danach aus, dass er es zurückbekommen hätte. Der Gewichtsverlust, die Trinkerei – jeder in der Stadt konnte es sehen, wenn er nur genau hinschaute.
Fin warf einen Blick auf den Toten. »Er wurde offenbar bewusst in Positur gebracht«, überlegte er laut.
»In Positur gebracht?«
»Als hätte man den Körper erst so positioniert, nachdem der Tod eingetreten war.« Die Augen des Surfers waren noch immer geöffnet. Blau. Aber sie begannen schon, sich zu trüben. Die Leiche befand sich im Anfangsstadium der Verwesung, auch wenn Fin noch nicht wusste, wie lange sie schon hier war. Der menschliche Körper begann in dem Augenblick zu verfaulen, in dem der Herzschlag aussetzte.
»In Positur gebracht«, wiederholte Sean. »Ja. Sieht für mich nach einer künstlichen Pose aus.«
»Es ist auch kein Blut da«, bemerkte Fin, während er sich der Leiche näherte. Dabei legte er seinem Onkel die Hand auf die Schulter, so dass der Ältere nicht weggehen konnte. »Was hat das zu bedeuten?«
»Was hat das zu bedeuten?«, echote Sean.
Fin hatte die Frage rhetorisch gemeint. »Das bedeutet, dass der Junge irgendwo anders getötet wurde«, dachte er laut weiter. »Er ist irgendwo anders ausgeblutet und wurde dann erst hierhergebracht und gegen den Müllcontainer gelehnt.«
»Richtig. Vielleicht wurde er ja in einer anderen Stadt getötet«, schlug Sean eifrig vor. »Im Zuständigkeitsbereich von jemand anderem.«
»Vielleicht«, sagte Fin. Aber er bezweifelte, dass sie so viel Glück hatten. Beim Blick zurück durch die Gasse hinab zum Meer registrierte Fin den Abfall auf dem Boden: leere Zuckerwattetüten, eine zerdrückte Getränkedose, Zigarettenkippen und die Folie, in die ein Kondom eingeschweißt gewesen war. Was eben so in einer Gasse herumlag; aber es konnte auch Beweismaterial darunter sein. »Wir sollten nicht ohne Überschuhe herumlaufen. Wir vernichten vielleicht wichtige Beweisstücke. Wir brauchen Einweghandschuhe und Überschuhe und alles andere, was uns sonst noch zur Beweissicherung zur Verfügung steht. Digitalkameras, Tüten, um das Beweismaterial sicherzustellen.«
»Wir … wir haben noch den ganzen Krempel, den wir vor zwei Jahren benutzt haben«, erwiderte Sean. »In Kisten verpackt, im Keller der Wache. Soll ich jemanden
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