Eternity
halten, weil ihm sein Leben lieb war.
Es hieß, sein Bruder habe eine Gruppe von Finanzanalytikern in einen Burlesque-Club in der Stadt eingeladen. Lucien frequentierte solche Orte nicht – er mochte den Rauch nicht, und außerdem, wenn er sehen wollte, wie sich eine Frau vor ihm auszog, dann musste er dafür nicht bezahlen.
Dieser Club war voller als alle anderen, die er kannte, und es waren nicht nur männliche Gäste. Auch Frauen aller Altersgruppen warteten auf den Beginn der Show, die meisten im Stehen. Tische gab es nur für eine »Flaschengebühr« von tausend Dollar. Es war absurd. Aber so verdiente der Club Geld.
Lucien hatte jedoch keine Zeit, sich unter die Gäste zu mischen. Er bahnte sich einen Weg zu der mit rotem Samt ausgeschlagenen Nische, in der sein Bruder mit den Investmentbankern saß, mit denen er sich aus irgendeinem Grund angefreundet hatte.
Es fiel ihm schwer, das Summen aus dem Kopf zu kriegen. Nicht das Summen der Gespräche um ihn herum, sondern das Summen, das er hörte, seitdem er Meena am Morgen verlassen
hatte. Seitdem war es immer da, wenn Menschen in seiner Nähe waren, so als ob eine winzige Biene in seinem Kopf herumfliegen würde. Wenn jedoch kein Lebender da war, verstummte es.
Und es war nicht nur das Summen, sondern er wusste auf einmal auch Dinge. Dazu brauchte er nur den Leuten, an denen er vorbeikam, ins Gesicht zu sehen. Wie die Kellnerin mit dem Tablett voller leerer Gläser, die in ihrem schwarzen Satinbustier und ihrem Strumpfgürtel aus Spitze an ihm vorbeiwackelte. Sie sollte auf dieser engen Treppe in ihren gefährlich hohen Plateausohlen besser vorsichtig sein, sonst würde sie noch stolpern und sich den Hals brechen.
Es hatte nichts damit zu tun, dass er ihre Gedanken lesen konnte. Er wusste es einfach, als er ihr in die Augen blickte.
»Passen Sie auf, wohin Sie treten«, sagte er zu ihr.
»Danke«, erwiderte sie und verzog die rot geschminkten Lippen zu einem Lächeln. »Ich passe lieber auf, wohin Sie treten.«
Und das ging nicht nur bei ihr so. Auch bei dem Jungen, der an der Treppe stand und in sein Handy schrie.
»Das ist unglaublich hier«, erzählte er einem Freund am anderen Ende der Leitung. »Eine der Frauen auf der Bühne raucht! Und zwar nicht mit ihrem Mund, sondern mit ihrer …«
»Mein Sohn«, sagte Lucien zu ihm.
»Mann!« Der Junge drehte sich zu ihm um. »Ich bin nicht dein Sohn. Und ich weiß nicht, wo das Klo …« Er brach ab, als er Lucien sah und schluckte. »Entschuldigung«, sagte er. »Kann ich Ihnen helfen, Sir?«
»Ja«, sagte Lucien und streckte die Hand aus. »Gib mir deine Autoschlüssel.«
Der Junge, der nicht älter als neunzehn sein konnte – offenbar war er mit einem gefälschten Personalausweis in den Club
gekommen –, griff mit zitternder Hand in seine Jackentasche und zog seine Autoschlüssel heraus. Er legte sie in Luciens ausgestreckte Hand.
Lucien steckte sie in seine Manteltasche. »Fahr mit dem Taxi nach Hause«, sagte er zu dem Jungen und klopfte ihm auf die Schulter. »Ich glaube, du hast schon zu viel getrunken, um noch sicher fahren zu können.«
»Aber …« Der Junge sah, wie sich Lucien zu den tiefroten Samtvorhängen wandte, die die Logen von den Stehplätzen abtrennten. »Ich bin aus Long Island gekommen.«
»Nimm den Zug«, schlug Lucien mit einem Zwinkern vor. »Eines Tages wirst du mir dafür dankbar sein.«
Er fand Dimitri in einer dunklen Privatloge mit sechs oder sieben Anzugtypen, die auf üppigen Polstern um niedrige, mit Getränken beladene Tische herum saßen. Frauen waren keine zu sehen. Sie würden gleich auf der darunterliegenden Bühne erscheinen, in verschiedenen Entkleidungsstadien, und Dinge mit allen möglichen Utensilien vollführen, die selbst Luciens Vater, der von den Türken im 15. Jahrhundert erzogen worden war, in Erstaunen versetzt hätten.
»Lucien!«, rief Dimitri, als er ihn wahrnahm. »Was für eine Überraschung! Meine Herren, das ist mein Bruder Lucien. Lucien, das sind ein paar Freunde von mir von TransCarta.«
Lucien warf einen Blick auf die Männer, die alle im mittleren Alter waren und ein wenig zum Bauchansatz neigten, weil sie so oft vor dem Computer saßen. Sie würden alle sterben …
… noch in dieser Woche.
Alle?
Wie? Und warum? Ein Flugzeugabsturz?
Aber alles, was Lucien auf dem verschwommenen Schnappschuss in seinem Kopf sehen konnte, war ein Raum … ein sehr dunkler Raum. Ein Keller vielleicht.
Und Blut. Viel Blut.
Ein Autounfall in
Weitere Kostenlose Bücher