Eternity
sondern auch aus Angst um ihr eigenes Leben.
»Offen gestanden«, sagte Lucien ruhig, »konnte ich deine Gedanken nie richtig lesen, Meena. Sie waren ein bisschen … durcheinander.«
Meena umklammerte mit zitternden Fingern das Geländer. Was hatte sie getan? Was machte er hier? Wollte er sie töten?
»Ich … ich dachte, V…Vampire könnten ein Haus nicht ohne Einladung betreten«, stammelte sie.
Ihre Zähne begannen zu klappern. Bildete sie sich das ein, oder leuchtete in seinen dunklen Augen ein roter Schimmer?
»Ja, aber das war einmal«, sagte er. Der Donner grollte so laut, dass das Geländer unter ihren Händen bebte. »Zu einer Zeit, als sich die Menschen noch um ihre Häuser sorgten und Priester oder Rabbis damit beauftragten, ihre Wohnstätten zu segnen. Heute schert sich kaum einer mehr darum, deshalb macht uns das eigentlich keine Probleme.«
»Oh«, sagte Meena.
Sie hielt die Augen fest auf ihn gerichtet, tastete aber mit dem nackten Fuß vorsichtig auf dem Balkon nach der Stricknadel. Würde sie den Mut besitzen, sie ihm ins Herz zu stoßen, wenn sie sie fand?
Vielleicht sollte sie einfach springen. Der Tod war doch bestimmt besser als das hier.
»Wenn wir aber vor einer gesegneten Schwelle stehen«, fuhr Lucien in einem fast plauderhaften Ton fort, »finden wir andere Wege. Wir können den Verstand der Menschen manipulieren, dann lassen uns zumindest die … nicht ganz so willensstarken in ihr Haus. Manche von uns können sich in Nebel verwandeln und durch die Schlüssellöcher ins Haus gelangen.«
»Du kannst dich in Nebel verwandeln?«, fragte Meena mit schwacher Stimme.
Er schaute sie aus seinen roten Augen an. »Ja«, erwiderte er. »Ich kann mich in Nebel verwandeln. Ich kann mich auch in einen Wolf verwandeln. Und du wirst mich nicht töten, Meena. Nicht mit einer Stricknadel. Du wirst auch nicht springen, und du wirst noch nicht einmal nach dem Gardisten schreien, damit er herkommt. Und dabei findest du mich widerwärtig.« Er runzelte die Stirn. »Warum denn eigentlich?«
Er konnte tatsächlich ihre Gedanken lesen. Fast jedenfalls.
Plötzlich schwankte die Welt um sie herum.
Lucien packte Meena um die Taille und zog sie an sich. Als
sie seine harten Muskeln durch den dünnen Stoff ihres Nachthemds spürte, wurde ihr noch schwindliger.
Seine Stimme war liebevoll. »Ich kann verstehen, warum du böse bist …«
»Nein.« Sie blickte ihn an. Sie schämte sich ihrer Tränen, konnte sie aber nicht zurückhalten. »Ich glaube nicht, dass du das verstehst. Vor ein paar Stunden noch habe ich geglaubt, du wärst das Beste, was mir je passiert ist. Und jetzt habe ich herausgefunden, dass ich dich überhaupt nicht kenne.« Ihr Gewissen regte sich. »Okay, du kennst mich vielleicht auch nicht … aber du bist ja noch nicht einmal ein Mensch .«
Ein Blitz zuckte über den Himmel, und gleich darauf grollte der Donner. Dann begann es zu regnen. Dicke Tropfen fielen ihnen auf Kopf und Schultern.
»Meena«, stieß Lucien hervor. Seine Stimme klang wütend und verzweifelt zugleich. »Ich war ein Mensch … früher einmal.« Er hatte sich so gedreht, dass er Meena vor dem Wolkenbruch schützte, so gut es ging. Als Jack Bauer die beiden so dicht zusammenstehen saß, knurrte er noch heftiger als zuvor, schien sich jedoch nicht zu trauen näher zu kommen. »Glaubst du nicht, dass ich mich danach sehne, all das wieder zu empfinden?«
Seine Stimme war rau. Offensichtlich hasste er, was er war. Aber er musste es akzeptieren … so wie auch Meena akzeptieren musste, was sie war.
»Glaubst du etwa, mir gefällt, was mein Vater aus mir gemacht hat?«, fragte er verzweifelt. »Nein. Aber ich hatte keine Wahl. Ich weiß nicht, was für einen unheiligen Pakt er geschlossen hat oder mit wem … mit Dämonen, Hexen oder dem Teufel selbst. Ich weiß nur, dass ich eines Nachts starb und … so wieder aufwachte. Meinem Bruder Dimitri hat er dasselbe angetan. Er sagte uns, wir sollten uns keine Sorgen
machen, weil wir jetzt ewig leben würden. Im Gegensatz zu meiner Mutter … ihr Tod hat ihn dazu getrieben, dieses groteske Halbleben zu suchen.«
Meena starrte Lucien entsetzt an. Sie wollte das nicht hören. Sie wollte nichts von alldem hören.
»Natürlich«, sagte Lucien mit kläglichem Lächeln, »war es nicht so einfach. Es gab … Bedürfnisse. Ich versuchte, ihnen nicht nachzugeben. Aber sie waren so stark. Vater ermutigte uns, brachte uns … Geschenke. Dimitri, der immer schon schwach gewesen war,
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