Ethan von Athos
alle Artikel von und über Frauen zu lesen. Es gab natürlich auch die Schiffsbibliothek, aber ihr Inhalt war gewiss nicht von der Zensurbehörde von Athos gebilligt, und Ethan war sich nicht wirklich sicher, welches Maß an Dispens ihm während dieser Mission eingeräumt sein sollte. Es war wohl besser, seine Tugend zu stärken, überlegte er deprimiert, denn er würde sie wahrscheinlich brauchen.
Frauen. Uterusreplikatoren mit Beinen, gewissermaßen. Er war sich nicht sicher, ob man sie für Anstifterinnen zur Sünde hielt, oder ob die Sünde von Natur aus zu ihnen gehörte, wie Saft zu einer Orange, oder ob die Sünde von ihnen übertragen wurde wie ein Virus. Er hätte doch im Religionsunterricht seiner Kindheit aufmerksamer sein sollen, obwohl um dieses Thema immer nur geheimnisvoll herumgeredet worden war. Und doch, als er eine Nummer des Journals gelesen und dabei die Namen der Autoren probehalber unterdrückt hatte, fand er in den Artikeln keinen Unterschied, der etwas über das Geschlecht der Verfasser verraten hätte.
Das ergab keinen Sinn. Vielleicht waren es nur ihre Seelen, nicht ihre Gehirne, die so anders waren? Der einzige Artikel, bei dem er sich sicher gewesen war, dass er von einem Mann stammte, stellte sich als die Arbeit eines betanischen Hermaphroditen heraus, dieses Geschlecht hatte noch nicht einmal existiert, als die Gründerväter nach Athos geflohen waren, und wo passte es hinein? Er stellte sich eine Weile lebhaft die helle Aufregung beim Zoll von Athos vor, falls eine solche Kreatur einreisen wollte, und wie die Bürokraten zu entscheiden versuchten, ob sie sie aufgrund von Männlichkeit einreisen lassen oder aufgrund von Weiblichkeit abweisen sollten – das Problem würde vermutlich an ein Komitee überwiesen werden, das sich rund ein Jahrhundert damit befassen würde, und in der Zwischenzeit würde der Hermaphrodit es bequem gelöst haben, indem er an Altersschwäche starb …
Die Überprüfung durch die Zollbehörde von Station Kline war fast genauso langwierig, aufgrund des gründlichsten mikrobiologischen Inspektions- und Kontrollverfahrens, das Ethan je erlebt hatte. Für Station Kline war es anscheinend egal, ob man Waffen, Drogen oder politische Flüchtlinge schmuggelte, solange man an den Schuhen keine mutierten Pilze einschleppte. Ethans Angst und seine – wie er sich eingestehen musste – brennende Neugier hatten einen fiebrigen Höhepunkt erreicht, als er endlich durch das Verbindungsrohr vom Kurier in den Rest des Universums überwechseln durfte.
Auf den ersten Blick war der Rest des Universums enttäuschend: eine schmuddelige, kalte Andockbucht für Frachter. Hier zeigte Station Kline natürlich die mechanische Seite ihres Betriebs, wie die Rückseite eines Wandteppichs, der aus der beabsichtigten Perspektive einen viel schöneren Anblick bot. Ethan überlegte, welcher der ein Dutzend Ausgänge zu menschlichen Behausungen führte. Die Crew des Schiffes war offensichtlich beschäftigt oder nicht zu sehen, als das mikrobiologische Untersuchungsteam seine Aufgabe erledigt hatte, war es fortgeeilt, höchstwahrscheinlich zu einem anderen Auftrag. An der Wand neben der Mündung einer Ausgangsrampe lehnte lässig eine Gestalt in der im ganzen Universum üblichen entspannten Pose eines Untätigen, der anderen bei der Arbeit zuschaut. Ethan näherte sich ihr, um nach dem Weg zu fragen.
Die schneidige grau-weiße Uniform war Ethan unbekannt, aber auch ohne die Handwaffe an der Hüfte wirkte sie durchaus militärisch. Bei der Waffe handelte es sich nur um einen legalen Betäuber, aber der sah gut gepflegt und keineswegs neu aus. Auf Ethans Schritte hin blickte der schlanke junge Soldat auf, musterte ihn mit einem Blick und lächelte höflich.
»Verzeihung, Sir«, begann Ethan und hielt unsicher inne. Die Hüften waren für die drahtige Figur zu breit, die Augen über einer kleinen, scharfgeschnittenen Nase waren zu groß und standen zu weit auseinander, die Kieferpartie war feinknochig und klein, die bartlose Haut zart wie die eines Säuglings – es hätte sich um einen besonders eleganten Jungen handeln können, aber …
Sie lachte schallend und – nach Ethans Meinung – viel zu laut. Er errötete. »Sie müssen der Athosianer sein«, sagte sie kichernd.
Ethan trat einen Schritt zurück. Nun ja, sie sah nicht aus wie die Wissenschaftlerinnen mittleren Alters, die im Betanischen Journal abgebildet waren. Sein Irrtum war gewiss völlig natürlich. Er hatte sich vorher
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