Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod
aus den Kämpfen um die Religionsfreiheit, aber ihre Entwicklungwurde durch die Forderung von Minderheitsgruppen nach religiöser Gleichberechtigung entscheidend gefördert. Diesen
dissenters
oder
nonconformists
wurde im britischen Königreich durch den
Act of Toleration
von 1689 in beschränktem Maß Religionsfreiheit gewährt. Diejenigen von ihnen, die nach Amerika auswanderten, brachten ihre Freiheitsforderung auch in die neue Welt mit. Das verlieh dem Menschenrechtsdenken auf dem Weg zur
Virginia Bill of Rights
von 1776 und der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung vom gleichen Jahr entscheidende Impulse. Die Religionsfreiheit wurde für verschiedene religiöse Gruppen gewährleistet; damit erwies sie sich als Ausgangs- und Kernpunkt dessen, was ich als das «Recht auf Differenz» bezeichne. Religion und Politik, aber auch Ethik und Politik sind gerade dadurch miteinander verbunden, dass der Staat unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen ein Heimatrecht gewährt.
Möglich ist das nur, wenn die unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Positionen einen gemeinsamen Bezugspunkt haben. Mit wachsender Deutlichkeit wurde die Menschenwürde als dieser zentrale Wert anerkannt. Aus ihr ergibt sich die Pflicht der Vertreter unterschiedlicher Überzeugungen, Wahrheitskonflikte nur so auszutragen, dass dabei die gleiche Würde aller Beteiligten geachtet wird. Wer die Religionsfreiheit im religiös pluralen Staat in Anspruch nimmt, muss auf Überlegenheitsansprüche verzichten, die sich mit einer Herabwürdigung Andersdenkender verbinden. Darin liegt der elementare Beitrag, den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften dazu leisten müssen, dass die Religionsfreiheit als Recht auf Differenz das Verständnis der Menschenrechte insgesamt prägen kann.
Doch nicht nur die Religionsfreiheit, sondern auch die Menschenrechte insgesamt bilden eine Brücke zwischen Ethik und Politik. Sie setzen der Ausübung politischer Macht eine klare Grenze. Wird diese Schranke missachtet, zerbricht auch der Zusammenhalt mit der Moral. Das zeigt sich in den Diktaturen des 20. und 21. Jahrhunderts, die sich systematisch von den Menschenrechten losgesagt haben. Dass sie für ihr Handeln als hochrangig ausgegebene moralische Ziele in Anspruch nehmen (das Wohl des Volkes, die Verwirklichung der Gerechtigkeit, die Bildung einer klassenlosen Gesellschaft, die Verwirklichung der Scharia etc.), kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie durch die institutionelle Gestaltung politischer Herrschaft die Vereinbarkeit von Macht undMoral auflösen. Nur eine staatliche Politik, die sich innerhalb der durch die Menschenrechte gesetzten Grenzen bewegt, wahrt die Verbindung zwischen Ethik und Politik; denn diese beruht auf der Achtung der Menschenwürde und der Wahrung der Menschenrechte.
Von vergleichbarer Bedeutung ist die demokratische Gestaltung des Gemeinwesens. Die Übertragung von Ämtern auf Zeit und die Rechenschaftspflicht der Amtsträger machen die Ausübung von Macht kontrollierbar. Die mit Wahlen verbundene Möglichkeit zum Regierungswechsel verankert institutionell die Chance zur Korrektur von Fehlern; deshalb wird die Demokratie eine «fehlerfreundliche» Staatsform genannt. Die demokratische Legitimation der Machtausübung und die Gesetzgebung mit den Mitteln der repräsentativen Demokratie tragen dazu bei, dass die Bürgerinnen und Bürger sich aktiv an der Gestaltung des Gemeinwesens beteiligen können und sich die Vielfalt ihrer Überzeugungen und Interessen in der politischen Willensbildung widerspiegelt.
In der repräsentativen Demokratie besteht dennoch die Gefahr einer Absonderung der Repräsentanten von den Repräsentierten. Politische Parteien gewinnen ein Eigenleben, die Nominierung der Kandidaten für politische Ämter wird in kleinen Kreisen ausgekungelt. Die Bereitschaft dazu, politische Verantwortung zur Lebensaufgabe zu machen, geht zurück. Zugleich verlieren parlamentarische Debatten und Entscheidungen an Gewicht. Die Lebensverhältnisse, die politisch zu gestalten sind, werden immer stärker durch wirtschaftliche Entscheidungen geprägt; dabei wächst insbesondere die – demokratisch unkontrollierte – Macht der Akteure auf den Finanzmärkten. Gleichzeitig verlagern sich wichtige politische Entscheidungen auf Ebenen jenseits des Nationalstaats. Die Institutionen der Europäischen Union ziehen zusätzliche Kompetenzen an sich, ohne dass die Gestaltung demokratischer
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