Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod
Beziehung von Politik und Ethik ausgewirkt. Diese wird heute vielfach mit Blick auf Personen und nicht so sehr auf institutionelle Verhältnisse diskutiert. Der Blickwinkel, aus dem Personen dabei betrachtet werden, ist in der Regel personalethisch und nicht etwa professionsethisch bestimmt. Die Aufmerksamkeit richtet sich auf das Verhalten von Politikern in Ehe und Familie, auf sexistische Äußerungen und Verhaltensweisen, auf Verkehrsdelikte und den Umgang mit Geld, auf persönliche Glaubwürdigkeit und Ausstrahlung. Solche Aspekte und die Art ihrer öffentlichen Erörterung sind für die Erfolgschancen von Politikern von großer Bedeutung. Als öffentliche Personen müssen sie sich gefallen lassen, dass auch ihr Privatleben in die Beurteilung ihrer Vertrauenswürdigkeit einbezogen wird. Zugleich aber haben sie einen Anspruch auf den Schutz ihrer Privatsphäre, zumal für ihre politische Tätigkeit professionsethische Gesichtspunkte wichtiger sind. Sie werden aber nur selten zum Thema gemacht.
Dabei ist es von herausragender Bedeutung, wie ein Politiker sein Ziel, gewählt zu werden, zu dem ins Verhältnis setzt, was er als notwendig und richtig erkannt hat. Folgt er in seinem Handeln seinen Überzeugungen oder stellt er die Einsicht in das Notwendige zurück, weil er ungünstige Auswirkungen auf sein Wahlergebnis oder einen anderen taktischen Nachteil befürchtet? Lässt er den Zeithorizont seiner politischen Überlegungen vom nächsten Wahltermin bestimmen oder blickt er darüber hinaus? Kann er auch im Kampf um Macht und Einfluss menschlichem Mitgefühl Raum geben und dem politischen Gegner mit persönlichem Respekt begegnen?
Professionsethische Fragen dieser Art werden in der Öffentlichkeit nur selten in ihrer zentralen Bedeutung für das Verhältnis von Politikund Ethik gewürdigt. Die deutsche Verfassungsbestimmung, dass Politiker nicht an Weisungen gebunden, sondern allein ihrem Gewissen verpflichtet sind (Artikel 38 des Grundgesetzes), wird nur selten in ihrem ethischen Gehalt bedacht. Die Diskussion darüber, ob die Gewissensbindung sich mit der Abhängigkeit von der Partei, die einen Mandatsträger nominiert hat, und mit der Fraktionsdisziplin, die das praktische parlamentarische Handeln bestimmt, verträgt, reicht noch nicht an den Kern dieser Frage heran. Auch die Praxis, bei Entscheidungen, die nach einer Verabredung zwischen den Fraktionen als «Gewissensfragen» betrachtet werden (dabei handelt es sich meist um bioethische Fragen), die Abstimmung über die Fraktionsgrenzen hinweg freizugeben und gegebenenfalls sogar fraktionsübergreifende Gruppenanträge einzubringen, bestimmt die Rolle des Gewissens für das politische Handeln nicht hinreichend. Vom Gewissen ist nicht nur dann zu sprechen, wenn jemand vor einer Entscheidung steht, die so stark mit seiner persönlichen Identität verbunden ist, dass er sie als eine Gewissensentscheidung empfindet. Das Gewissen kommt vielmehr auch dann ins Spiel, wenn jemand seinen Beruf verantwortlich und damit gewissenhaft ausüben will. Genauso wichtig wie Gewissensentscheidungen sind gewissenhafte Entscheidungen (siehe Kapitel 8).
Solche Entscheidungen setzen sorgfältige Prüfung voraus. Kein Abgeordneter kann dies für alle anstehenden Fragestellungen in gleicher Weise leisten. Die Arbeitsteilung innerhalb der Fraktionen und die Verständigung auf ein von den jeweiligen Experten vorbereitetes und kritisch diskutiertes Votum haben also einen guten Sinn und sollten nicht pauschal als Fraktionszwang abgewertet werden. Es gibt jedoch Situationen, in denen Abgeordnete sich aus inhaltlichen Gründen dem Mehrheitsvotum ihrer Fraktion nicht anschließen können. Ob sie dennoch der Mehrheit folgen oder abweichend abstimmen, ist ein zentrales Thema gewissenhafter Berufsausübung. Wie auch immer die Abwägung ausfällt – sie muss vor dem Grundsatz Bestand haben, dass der Abgeordnete nur seinem Gewissen verpflichtet und nicht an Weisungen gebunden ist.
Die praktische Bedeutung dieses Grundsatzes zeigt sich auch im Verhältnis von Abgeordneten oder Regierungsmitgliedern zu den Interessengruppen, die sich im politischen Prozess zu Wort melden. Deren Anliegen zur Kenntnis zu nehmen und die Informationen zu verarbeiten, die von Unternehmen, Lobbygruppen und Organisationen der Zivilgesellschafteingebracht werden, gehört zu den Pflichten sachgemäßer politischer Arbeit. Die Demokratie braucht intermediäre Gruppen, die zwischen den Einzelnen und dem politischen System
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