Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod
Konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung erklärt.
Der Begriff des gerechten Friedens ist jedoch viel älter. Bereits der amerikanische Präsident Abraham Lincoln sprach angesichts des Bürgerkrieges zwischen Nord- und Südstaaten von der Aufgabe eines «gerechten und andauernden Friedens unter uns selbst und mit allen Völkern»
(just and lasting peace among ourselves and with all nations)
– so lauteten die letzten Worte der Ansprache zu seiner zweiten Vereidigung am 4. März 1865, einen Monat vor seiner Ermordung (Lincoln 2002: 19). Lincolns Wortwahl begegnet, leicht verändert, erneut in den Friedensüberlegungen in den USA und – von dort aus – im entstehenden Ökumenischen Rat der Kirchen während des Zweiten Weltkriegs. Der Begriff des gerechten und dauerhaften Friedens
(just and durable peace)
bestimmte seit 1940 die Arbeit einer Kommission unter der Leitung des späteren amerikanischen Außenministers John Foster Dulles, die vom Federal Council of the Churches of Christ in America eingesetzt worden war (Arend 1988). Zu den Voraussetzungen für die Arbeit dieser Kommission gehörte die Überzeugung, dass der Friedensschluss, der den Ersten Weltkrieg beendet hatte, von allzu kurzer Dauer war. Dafür wurde sein Mangel an Fairness als Ursache angesehen. In Anknüpfung an diese historische Erfahrung wurden Kriterien eines gerechten und dauerhaften Friedens formuliert, zu denen die wechselseitige Anerkennung, die Verzichtsbereitschaft und die gemeinsame Respektierung eines Regelwerks gehörten (vgl. Allan 2007).
In solchen Überlegungen wird der Begriff des gerechten – und deshalb auch dauerhaften – Friedens vor allem an der Frage gerechter Friedensbedingungen nach dem Ende eines Krieges orientiert (Rawls 2002: 41, 115ff.). Doch die Vorstellung vom gerechten Frieden kann sich nicht auf die Bedingungen eines Friedensschlusses beschränken. Wenn nämlich die Gerechtigkeit des Friedens sich in seiner Dauerhaftigkeit erweisen soll, muss man die Frage nach denjenigen politischen Prozessenstellen, die nicht nur innerhalb der einzelnen Staaten, sondern auch zwischen ihnen ein Zusammenleben ermöglichen, das nicht auf Gewalt, sondern auf wechselseitige Anerkennung aufgebaut ist.
Gerechter Frieden als politisch-ethisches Leitbild lässt sich in verschiedenen Dimensionen entfalten. Die Friedensdenkschrift der EKD von 2007 zählt dazu den Schutz vor Gewalt, die Förderung der Freiheit, die Überwindung von Not sowie die Anerkennung kultureller Vielfalt (EKD 2007: 53ff.). Diese vier Dimensionen werden als Bestandteile eines übergreifenden Konsenses verstanden, zu dem unterschiedliche Religionen und Weltsichten beitragen und Zugang finden können. Im Blick auf diese vier Dimensionen eines gerechten Friedens wird nach der politischen Form gefragt, in der Friedensprozesse ermöglicht und gestaltet werden können. Diese Form wird nicht mehr im Nebeneinander völlig unabhängiger politischer Einheiten – also Nationalstaaten –, aber auch nicht in der Bildung einer Weltregierung gesehen. Vielmehr gilt die staatliche Souveränität gerade in ihrer Bedeutung für den Schutz individueller Freiheit als unentbehrlich; sie bedarf der Ergänzung durch kooperative Organisationsformen der Staatengemeinschaft als einer Rechtsgemeinschaft. Die kooperativ verfasste, an gemeinsame Rechtsprinzipien gebundene Staatengemeinschaft bildet die Grundstruktur einer globalen Friedensordnung. Diese ist der politischen Verwirklichung von Frieden durch Recht verpflichtet. Aus den vier Dimensionen des politisch-ethischen Leitbilds ergeben sich dabei vier Ordnungselemente eines gerechten Friedens: kollektive Friedenssicherung, die Kodifizierung und der Schutz universaler und unteilbarer Menschenrechte, die Förderung transnationaler sozialer Gerechtigkeit sowie die Ermöglichung kultureller Vielfalt.
Betrachtet man den gerechten Frieden unter dem Gesichtspunkt des gerechten und dauerhaften Schutzes vor Gewalt, steht die Gerechtigkeit (also die Fairness der Friedensbedingungen) am Anfang des Friedens. Sobald man jedoch den Gesichtspunkt der Gerechtigkeit mit den Dimensionen des Schutzes der Freiheit, des Abbaus von Not und der Anerkennung kultureller Vielfalt verbindet, muss man mit Hans-Richard Reuter feststellen: «Der Prozess politischer Friedensstiftung beginnt nicht mit der Gerechtigkeit, sondern er vollendet sich durch sie. Die Verwirklichung von politischer und sozialer Gerechtigkeit gehört nicht
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