Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod
Vereinten Nationen über bürgerliche und politische Rechte von 1966 in deren Artikel 18 der Religionswechsel nicht mehr thematisiert; die Rede ist nur noch von dem Recht, «eine Religion oder Weltanschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen». Dass das Recht, eine Religion «abzulegen» oder zu «wechseln», nicht mehr vorkommt, war der Preis, der für die Zustimmung von islamisch geprägten Staaten gezahlt wurde. Dieser Preis war genauso hoch wie die Konzession, die gegenüber den USA und anderen Staaten dadurch gemacht wurde, dass in dem Pakt von 1966 die Todesstrafe anerkannt und lediglich ihre Verhängung auf «schwerste Verbrechen» beschränkt wurde, die zu dem Zeitpunkt, zu dem sie verübt wurden, bereits mit der Todesstrafe belegt waren.
In beiden Fällen handelt es sich um verhängnisvolle Einschränkungen der Menschenrechte. Was die Religionsfreiheit betrifft, hat sich die Situation seitdem generell nicht verbessert. In islamischen Staaten gilt die Abwendung vom Islam als «Abfall», der in einer Reihe von Ländern mit der Todesstrafe bedroht ist. Die Verkündigung anderer Glaubensweisen neben dem Islam wird vielfach unterdrückt. So wird in der Türkei der Ausdruck «Missionar» nur in ablehnendem Sinn verwendet und nur auf Christen angewandt, die von ihrem Glauben auch in der türkischen Gesellschaft Zeugnis ablegen wollen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass der Zentralrat der Muslime in Deutschland in seiner
Islamischen Charta
von 2002 ausdrücklich feststellt: «Die im Zentralrat vertretenen Muslime akzeptieren das Recht, die Religion zu wechseln, eine andere oder gar keine Religion zu haben.» Es ist zu wünschen, dass diese Auffassung sich möglichst weit verbreitet und dass aus dem «Akzeptieren» ein «Bejahen» wird.
Die unvollständige Normierung der Religionsfreiheit in der Konvention der Vereinten Nationen von 1966 ist ein fataler Kompromiss. Sowohlder ungehinderte Religionswechsel als auch die korporative Religionsfreiheit müssen anerkannt sein, wenn von staatlicher Ermöglichung und Gewährleistung der Toleranz die Rede sein soll. Dass diese Voraussetzungen in vielen islamisch geprägten Ländern heute nicht gegeben sind, gehört zu den großen Herausforderungen unserer Zeit. Dass Menschen wegen ihrer Religionszugehörigkeit um Leib und Leben fürchten müssen, ist einer der offenkundigen Skandale des 21. Jahrhunderts.
Fortschritte sind am ehesten dann zu erhoffen, wenn es gelingt, zu einer klaren Unterscheidung zwischen dem Politischen und dem Religiösen zu kommen. Eine solche Unterscheidung bedeutet, dass nicht politische Ziele mit den Mitteln religiöser Indoktrination durchgesetzt werden und dass nicht für die Verfolgung religiöser Ziele staatlicher Zwang eingesetzt wird. Mit dieser Unterscheidung ist jedoch nicht eine Beziehungslosigkeit zwischen beiden Sphären gemeint. Glaubensgemeinschaften bringen ihre Überzeugungen in die öffentliche Meinungsbildung ein, beteiligen sich an Bildungsaufgaben und helfen Notleidenden. Der Staat würdigt ihr Handeln auf der Grundlage einer fördernden Neutralität; er respektiert den Beitrag von Glaubensgemeinschaften zur Entwicklung des persönlichen Verantwortungsbewusstseins wie zur Bildung von Trägern gesellschaftlicher Verantwortung.
Ein freiheitlicher und demokratischer Rechtsstaat, der die Religionsfreiheit achtet, kann erwarten, dass Religionsgemeinschaften sich seiner Ordnung nicht nur äußerlich fügen, sondern sie auch innerlich bejahen. Es sprechen deshalb gute Gründe dafür, dass der Staat bei der konkreten Ausgestaltung seiner fördernden Neutralität die Frage einbezieht, ob eine Religionsgemeinschaft die freiheitliche Ordnung befürwortet, die Gleichberechtigung von Frau und Mann respektiert oder die schulische Integration von Mädchen und Jungen fördert.
Insgesamt geht es darum, dass die individuelle, korporative und institutionelle Religionsfreiheit mitsamt der religiösen Neutralität des Staates und der gemeinsamen Verantwortung von Staat und Religion für das Gemeinwesen geachtet werden. Ebenso notwendig ist es, dass alle Formen einer religiösen Legitimation von Gewalt, der Herabsetzung Andersglaubender oder der Diskriminierung aus anderen Gründen überwunden werden. Darin liegen wichtige Folgerungen aus den Religionskonflikten unserer Zeit. Wechselseitige Toleranz steht zu religiöser Identität nicht im Gegensatz; beide gehören vielmehr zusammen.
17. Krieg und Frieden
Wie weit reicht unsere
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