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Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod

Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod

Titel: Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Huber
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völkerrechtliche Verbot der Gewaltanwendung dadurch nicht aufgehoben. Die Selbstverteidigung trägt vielmehr den Charakter der Notwehr oder der Nothilfe. Eine rechtlich sanktionierte Lösung des Konflikts muss von der internationalen Staatengemeinschaft kommen. Dafür muss der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen tätig werden.
    Die Umsetzung dieses völkerrechtlichen Konzepts wurde vier Jahrzehnte lang durch den Kalten Krieg zwischen den hochgerüsteten Militärblöcken unter Anführung der USA und der UdSSR blockiert. Mit der kommunistischen Herrschaft in den Staaten des Warschauer Pakts kam auch die Ost-West-Konfrontation an ein Ende. Rückblickend kann man urteilen, das Abschreckungssystem – einschließlich der Nachrüstung in den Siebzigerjahren – habe seine Bewährungsprobe bestanden; doch niemand möchte sich ausmalen, was geschehen wäre, wenn der Bann des Schreckens nicht gehalten hätte. Ob der Ausbruch eines Krieges trotz oder wegen des Systems der Abschreckung vermieden werden konnte, ist nach wie vor umstritten.
    Nach 1989 waren manche der Meinung, mit den friedlichen Revolutionen in Mittel- und Osteuropa seien die friedensethischen Kontroversen an ein Ende gekommen und mit der Neugestaltung Europas seit 1990 sei eine Friedensepoche angebrochen, in der zu friedensethischen Auseinandersetzungen kein Anlass mehr bestehe. Die Wirklichkeit sah ganz anders aus. Mit dem Zerfall Jugoslawiens kehrte der Krieg mit Macht auf den europäischen Kontinent zurück. Das Erschrecken über die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September 2001, aber auch der von der damaligen US-Regierung in Gang gesetzte Krieg gegen den Terror schufen eine veränderte Situation. Mit den terroristischen Anschlägen in Madrid 2004 und in London 2005 erreichte diese neue Bedrohung auch Europa. Der gleichzeitige Zerfall desstaatlichen Gewaltmonopols in einer Reihe von afrikanischen und asiatischen Ländern und gewaltsame Konflikte im Innern dieser Länder stellten die Staatengemeinschaft vor zusätzliche Aufgaben.
    Auch während der Jahrzehnte der atomaren Abschreckung wurde die Argumentation mit den Kriterien des gerechten Krieges insbesondere in der US-amerikanischen ethischen Diskussion aufrechterhalten und weiterentwickelt (vgl. Huber/Reuter 1990: 190ff.; Lienemann 2000: 84f.). Als sich der Spannungszustand wechselseitiger Abschreckung mit dem Fall der Berliner Mauer auflöste, stand die Lehre vom gerechten Krieg als Interpretationsrahmen für neue kriegerische Auseinandersetzungen weiterhin zur Verfügung. Beginnend mit dem Golfkrieg von 1991 wurde sie in diesem Sinn praktisch angewandt, zugleich weiterentwickelt und aktualisiert (vgl. Elshtain 1992; Walzer 2003: 31ff.; Walzer 2004). Damit verband sich die Tendenz, auch die Prozesse der Friedensstiftung, die auf eine gewaltsame Auseinandersetzung folgen, in dieses Theoriegebäude einzubeziehen. Man unterschied nicht nur wie in früheren Phasen zwischen dem Recht zum Krieg und dem Recht im Krieg, sondern fügte auch das Recht nach dem Krieg in die Konzeption des gerechten Krieges ein.
    Mit den kriegerischen Auseinandersetzungen in den neuen Staaten auf dem Balkan und in Afghanistan wurde die Frage nach der Legitimation militärischer Gewaltanwendung aufs Neue aktuell. Das Militär, das nach Artikel 87 a des deutschen Grundgesetzes nur zu Zwecken der Verteidigung (sowie zur Amtshilfe bei Naturkatastrophen und Unglücksfällen) befugt ist, wird seitdem vorrangig für Auslandseinsätze in Anspruch genommen, was verfassungsrechtlich allein auf Bündnisverpflichtungen gestützt wird (Art. 24, 2 GG). Während solche militärischen Interventionen in der politischen und ethischen Diskussion in den USA häufig mit der Lehre vom gerechten Krieg gerechtfertigt werden, bestehen dagegen in der deutschen Debatte erhebliche Vorbehalte.
Die Vorstellung des gerechten Friedens
    In dieser neuen friedensethischen Debatte wird der Lehre vom gerechten Krieg programmatisch das Konzept des gerechten Friedens gegenübergestellt (vgl. Strub 2010; Reuter 2013; zum Folgenden auch Huber, Recht2012). Während die Theorie des gerechten Krieges vom Krieg her auf den Frieden schaut, betrachtet die ethische Konzeption des gerechten Friedens kriegerische Gewalt vom Frieden her. Programmatisch kam diese Entgegensetzung in den ökumenischen Diskussionen des Jahres 1989 zum Ausdruck. In der Dresdener Ökumenischen Versammlung wurde das Konzept des gerechten Friedens zum Leitbegriff für den

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