Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod
zu den Anfangsbedingungen, sondern zu den Konsolidierungs- und Optimierungsbedingungendes Friedens.» (Reuter 2013: 15f.) Die politische Gerechtigkeit zielt in diesem Zusammenhang auf die Anerkennung und Achtung der Menschenrechte; die soziale Gerechtigkeit zielt auf die Überwindung von Armut und Not und die Verwirklichung eines Rechts auf Entwicklung, das jedem Menschen die Möglichkeit eröffnet, ein auskömmliches und selbstbestimmtes Leben zu führen. Während Gerechtigkeit es im Blick auf den Schutz vor Gewalt mit der Fairness des Friedensschlusses zu tun hat – also der Frage des
peace-making
–, hat Gerechtigkeit es im Blick auf die Förderung der Freiheit, den Abbau von Not und die Anerkennung kultureller Vielfalt mit dem Prozess der Friedensgestaltung – also der Frage des
peace-building
– zu tun (Strub 2010: 173ff.).
Mit der geforderten Rechtsförmigkeit einer internationalen Friedensordnung verknüpft sich der Anspruch, dass diese Rechtsordnung sich an den Leitgedanken der menschlichen Sicherheit und der menschlichen Entwicklung orientiert und damit dem Vorrang der zivilen Konfliktbearbeitung verpflichtet ist. Das Konzept der menschlichen Sicherheit bezieht sich konsequent auf die Sicherheitsbedürfnisse der Menschen in ihrem Alltagsleben und hebt darauf ab, «dass es zu den Aufgaben der Staaten und der internationalen Gemeinschaft gehört, die einzelnen Menschen sowohl vor Gewalt als auch vor Not zu schützen» (EKD 2007: 117). In einer Theorie des gerechten Friedens kommt der Prävention eine Schlüsselstellung zu. Gewaltfreien Methoden der Konfliktbearbeitung wird der Vorrang zuerkannt. Den zivilen Friedens- und Entwicklungsdiensten wird für die Wiederherstellung, Bewahrung und Förderung eines nachhaltigen Friedens eine wichtige Rolle zugeschrieben.
Gewalt im Dienst des Rechts
Ebenso wie für eine universalistische Vernunftmoral hat auch für eine christliche Ethik die Frage nach der Legitimität des Rechts den Vorrang vor der Frage nach der Legitimität der Gewalt. Das Recht soll Bedingungen dafür schaffen, dass Menschen sich wechselseitig achten und in ihrer Freiheit anerkennen. Gewalt dagegen entzieht dem anderen die Achtung. Sie ist aus der Sicht der jüdisch-christlichen Tradition ausgeschlossen: «Du sollst nicht töten.» (2. Mose 20,13) Nach der BergpredigtJesu kommt Gewalt auch als Mittel der Vergeltung nicht in Frage (Matthäus 5,38ff.). Folglich gebührt der Gewaltlosigkeit der Vorrang vor allen Mitteln der Gewalt. Auch wenn es in der geschichtlichen Welt Situationen der Verstrickung gibt, die sich nicht ohne den Rückgriff auf das äußerste Mittel der Gewalt lösen lassen, folgt daraus keine eigenständige, sondern allenfalls eine abgeleitete Legitimität der Gewalt. Legitim ist sie nur als äußerstes Mittel und nur, soweit sie im Dienst des Rechts steht. Doch wer zu der Überzeugung kommt, um des Rechts willen Gewalt androhen oder anwenden zu müssen, sieht sich in Schuld verstrickt. Er bewegt sich in einer Sphäre, die Dietrich Bonhoeffer mit dem Begriff der «Schuldübernahme» gekennzeichnet hat (Bonhoeffer 1992: 275ff.).
Die Gewaltthematik hat ihren Ort innerhalb einer Ethik der Erhaltung und Ermöglichung des Rechts (EKD 2007: 65ff.). Vom Vorrang des Rechts aus betrachtet gibt es nur eine einzige Begründung, die den Einsatz physischer Gewalt zu legitimieren vermag: die Überzeugung nämlich, dass dieser Einsatz von Gewalt zur Bewahrung oder Wiederherstellung, zur Erhaltung oder Ermöglichung des Rechts unvermeidlich ist. Die Kriterien, an die der Einsatz von Gewalt zu binden ist, müssen grundsätzlich auf alle Fälle anwendbar sein, in denen über Gewalt als äußerstes Mittel im Dienst des Rechts nachgedacht wird. Zu diesen Fällen gehören der Einsatz militärischer Gewalt zwischen Staaten, der Einsatz polizeilicher Gewalt im Innern eines Staates, die Notwehr und der «große» Widerstand gegen eine Politik, die Menschenrechte und Demokratie negiert. Aus der Sicht einer Ethik der Erhaltung, Wiederherstellung und Ermöglichung des Rechts kann es keine Sonderethik für den Kriegsfall geben. Vielmehr muss das Verhältnis zwischen Recht und Gewalt für alle einschlägigen Konstellationen von den gleichen Grundsätzen aus bestimmt werden (vgl. Reuter 2013: 20, 175).
Sieht man all diese Fälle im Zusammenhang, dann lassen sich die ursprünglich in der Lehre vom gerechten Krieg entwickelten Kriterien in eine andere Ordnung bringen, als dies in den traditionellen Fassungen
Weitere Kostenlose Bücher