Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod
sondern orientiert sich zugleich am Wohl der anderen. Der Glaube an den einen Gott, vor dem alle Menschen gleich sind, bildet die Grundlage für eine radikal verstandene Gleichachtung aller; sie konkretisiert sich in der Anerkennung der gleichen Würde und der gleichen elementaren Rechte aller Menschen.
Freilich hat die Frage, wie weit die Inklusion reicht, immer wieder Anlass zu Kontroversen gegeben. Wer gehört zu denen, die in ihrer Würde gleich zu achten sind? Vorrangig werden drei Antworten gegeben: Jeder Mensch vom Anfang bis zum Ende seines Lebens; Behinderte wie Nichtbehinderte; alle lebenden Menschen.
Die erste Antwort hat mit der Frage zu tun, von wann an dem Menschen Würde zuzusprechen ist und wie weit diese Würde reicht. Der Schutz des vorgeburtlichen Lebens und der Einbezug des Sterbens in ein menschenwürdiges Leben treten dann in den Vordergrund. In der zweiten Antwort wird Inklusion – insbesondere in der pädagogischen Diskussion – darauf bezogen, dass Menschen mit Beeinträchtigungen die gleichen Chancen haben sollen wie andere, deren Grenzen sich nicht in offenkundigen Behinderungen zeigen. Schließlich wird drittens die Antwort favorisiert, dass die Inklusion sich nicht nur auf die Angehörigen der eigenen Gesellschaft richtet, mit denen wir die gleichen Bürgerrechteteilen, sondern alle auf dem Globus lebenden Menschen einschließt, sich also an den für alle geltenden Menschenrechten ausrichtet.
Die Reichweite der Inklusion ist jedoch mit diesen drei Perspektiven noch nicht abschließend bestimmt. Schließt die Rücksichtnahme der heute Lebenden auch diejenigen ein, die nach ihnen kommen?
Das Generationenverhältnis lässt sich unter zwei Gesichtspunkten betrachten. Im einen Fall geht es um das synchrone, im anderen um das diachrone Generationenverhältnis. Einerseits schauen wir auf die verschiedenen Generationen, die gleichzeitig leben – schematisch gesprochen: die jüngere, die mittlere und die ältere Generation. Andererseits geht es um das Verhältnis zwischen Generationen, die nacheinander leben, das heißt um die Erinnerung an die Gestorbenen ebenso wie um die Verantwortung für die noch Ungeborenen. Mit diesem diachronen Generationenverhältnis ist die Verantwortung für die Bewahrung der natürlichen Ressourcen eng verbunden. Lebensmöglichkeiten für künftige Generationen zu bewahren gehört zu den Zukunftsaufgaben, die mit der wachsenden Reichweite des technisch Möglichen an Bedeutung gewinnen.
Bewahrung der Schöpfung?
Welche ethischen Maßstäbe sind beim Umgang mit diesen großen Zukunftsaufgaben anzulegen? Bei kaum einem anderen Thema wurde in den letzten Jahrzehnten intensiver auf die Sprache der Religion zurückgegriffen. Die Bewahrung der Schöpfung wurde zu einem erfolgreichen Motto für einen verantwortlichen Umgang mit der Umwelt. In der internationalen ökumenischen Bewegung wurde die Trias von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung zu einem wichtigen sozialethischen Leitbild.
Der Philosoph Hans Blumenberg wandte mit guten Gründen ein, es handle sich dabei um eine übersteigerte Redeweise. Die Aussage, es liege in der Hand des Menschen, die Schöpfung entweder zu bewahren oder zu zerstören, bezeichnete er als eine «törichte Anmaßung», denn der Mensch könne weder im Guten noch im Schlechten in Konkurrenz zum Schöpfer treten. Das Universum sei und bleibe seinem zerstörenden wie bewahrenden Zugriff entzogen (Blumenberg 1997: 31ff.).
Die Bedeutung des Schöpfungsglaubens für den Umgang mit der Zukunft der dem Menschen zugänglichen Biosphäre liegt nicht in derart übersteigerten Ansprüchen; sie liegt eher in der Einsicht, dass die Erde dem Menschen zum verantwortlichen Gebrauch anvertraut ist. Die biblischen Schöpfungserzählungen veranschaulichen das auf ihre Weise. Die ältere dieser beiden Erzählungen spricht davon, der Garten Eden sei dem Menschen anvertraut worden, «dass er ihn bebaute und bewahrte» (1. Mose 2,15). Die jüngere wählt eine andere Sprache. Ihr zufolge gibt Gott dem Menschen den Auftrag, sich die Erde untertan zu machen und über die Tiere zu herrschen (1. Mose 1,28). Die aus diesem Auftrag abgeleitete Vorstellung von einer umfassenden menschlichen Herrschaft über die Erde
(dominium terrae)
wurde im Rahmen der aufstrebenden neuzeitlichen Naturwissenschaft als Legitimation dafür in Anspruch genommen, in die Geheimnisse der Natur einzudringen und sie dem menschlichen Verfügungsanspruch dienstbar zu machen.
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